Wanderung
im
oberbayrisch-tirolerischen
Grenzgebiet
auf
den Spuren der
Watscheders
und Winkelhofens
16.
- 28. Juli 2015
Ein Tagebuch
Vorbemerkung:
Wandern im Land meiner mütterlichen Vorfahren war ein lang gehegter Wunsch, Wandern in einem Gebiet, in das man als Norddeutscher heute in den Urlaub fährt, weil es dort so schön ist, im Kaiserwinkl im nördlichsten Tirol, im südlichen Chiemgau, am Inn, einem Gebiet jedoch, in dem vor 100 Jahren und vor 150 Jahren die Bauern an den Berghängen ums Überleben kämpften - und die Watscheders - so hießen meine Vorfahren - waren Bergbauern.
Ich wollte wandern, von Ort zu Ort, ich wollte das Gefühl für Entfernungen bekommen, hinter einem Hügel in der Ferne einen Kirchturm auftauchen sehen und denken: Oh wie schön, in wenigen Stunden bin ich da. So wie mein Ururgroßvater Michael Watscheder mit seiner Braut Rosina von Winkelhofen und zwei kleinen Kindern vor 150 Jahren in Oberaudorf aufgebrochen ist, um eine neue Lebensgrundlage zu finden, so wollte ich reisen.
Und ich wollte mit eigenen Augen sehen, wo sie gelebt haben, die Watscheders und Winkelhofens, von denen ich abstamme. Wie sieht es dort aus heute? Wie war es damals?
Und ich wollte mit eigenen Augen sehen, wo sie gelebt haben, die Watscheders und Winkelhofens, von denen ich abstamme. Wie sieht es dort aus heute? Wie war es damals?
Ausgangspunkt einer solchen Wanderung konnte nur Kufstein am Inn sein, woher mein Opa kam, auch ein Michael Watscheder, selbst wenn er dort nicht geboren wurde; geboren wurde er, 1895, in Schleching im Chiemgau. Aber in Kufstein ist er groß geworden, dort hat er seinen Beruf ergriffen - er war Lokführer, Dampfloks -, dort hat er meine Oma geheiratet, dort sind seine beiden Töchter zur Welt gekommen, die jüngere, Hanna Watscheder, meine Mutter.
Und Kufstein muss auch der Bezugspunkt der Winkelhofens gewesen sein, die in Erl am Inn, gegenüber Oberaudorf, als Zollbeamte gewirkt haben. Rosina Baronesse von Winkelhofen, meine Ururgroßmutter, kam, 1826, in Kufstein zur Welt.
Kufstein ist der zentrale Ort der Landschaft, aus der die Watscheders und Winkelhofens stammten. Also auf nach Kufstein.
Und Kufstein muss auch der Bezugspunkt der Winkelhofens gewesen sein, die in Erl am Inn, gegenüber Oberaudorf, als Zollbeamte gewirkt haben. Rosina Baronesse von Winkelhofen, meine Ururgroßmutter, kam, 1826, in Kufstein zur Welt.
Kufstein ist der zentrale Ort der Landschaft, aus der die Watscheders und Winkelhofens stammten. Also auf nach Kufstein.
Donnerstag,
16. Juli 2015
Kufstein
Kufstein
ist ein Zwanzigtausend-Einwohner-Städtchen. Gerade vor kurzem, am 5. Mai,
hat der Kufsteiner Bürgermeister Krumschnabel vor der
Bürgerversammlung im Rathaus verkündet, dass die Stadt
jetzt mit genau 20.064 Einwohnern die Zwanzigtausend-Marke geknackt hat.
1923, im Geburtsjahr meiner Mutter, zählte Kufstein
keine 7.000 Einwohner. Welche
Entwicklung in den vergangenen knapp hundert Jahren!
Ich
betrete Kufstein vom Bahnhof aus über die Innbrücke. Der Inn, gut hundert Meter breit, kalk- und sandhell, schnell fließend. Mein Blick
wird angezogen von der Festung oben auf dem Fels, und von der
Altstadt, in die ich jetzt komme: ausgesprochen einladend, kaum etwas
wirkt künstlich oder übertrieben touristisch, vielleicht die
Römerhofgasse ausgenommen. (Aber auf einem Schwarz-Weiß-Foto aus alten Zeiten sehe ich
später, dass die immer schon so ausgesehen hat.) Gebäude aus dem
19. und 18. Jahrhundert sind liebevoll restauriert.
Auffällig die Jugendstilhäuser, nicht so weich verspielt wie der
Jugendstil, den wir in Deutschland kennen. So zum Beispiel
die „Volksschule“ in der Kinkstraße, die meine Mutter
aber sicher nicht besucht hat, denn das war damals eine Realschule. Und als meine Mutter ins Realschulalter kam, wohnte sie nicht mehr in Kufstein, sondern in Villach.
Kinkstraße
22, das war das Haus, in dem die kleine Familie Watscheder
bis 1930 gewohnt hat und in dem meine Mutter geboren wurde. Das Haus – es gibt ein Foto aus dem Jahr 1937, ein
ganz ansehnliches Gebäude – ist nicht mehr vorhanden.
Heute steht an der Stelle das so ziemlich hässlichste Haus der
Straße. Es lässt nicht gerade hohe Ahnengefühle aufkommen, meine Mutter hätte ein ehrenvolleres Andenken verdient ...!
Die
Kinkstraße, eine schmale Einbahnstraße, verläuft direkt unterhalb
der Festung. Sie ist die Längsachse durch die Altstadt parallel zum
Inn, der auf der anderen Seite des Festungsfelsens fließt.
Zentraler kann man gar nicht wohnen.
Kufstein
ist natürlich nicht nur Kinkstraße, Altstadt und Festung. Die Stadt
hat wirtschaftlich in den vergangenen fünfzig bis hundert Jahren eine
langsame, aber stetige Aufwärtsentwicklung gemacht, was man ja
allein schon an der Verdreifachung der Einwohnerzahl seit 1923
ablesen kann. Als alte Transit- und Mautstelle hat der Ort immer
schon eine Rolle gespielt, früher für die Innschifffahrt, seit 1858
für die Eisenbahn. Auf dem Fluss sieht man heute überhaupt keine
Schiffe mehr. Umso mehr Geschäftigkeit spielt sich auf den Schienen
ab. Am Bahnhof sitzend sieht man einen Güterzug nach dem andern
vorbeifahren, mehrere Güterzüge stehen gleichzeitig bereit und
warten auf Abfertigung oder Weiterfahrt. Es ist die Strecke über den
Brennerpass, die wichtigste Transitstrecke zwischen Mitteleuropa und
Italien. So war mein Opa nach dem Ersten Weltkrieg gleich an der
richtigen Stelle, als er Eisenbahner wurde.
Mittlerweile
hat sich Kleinindustrie mit einer Reihe mittelständischer Betriebe
angesiedelt: Kneissl-Ski werden hier in Kufstein fabriziert, allen
Wintersportlern ein Begriff; Pirlo-Dosen aus Kufstein haben einen
gewissen Ruf.
Die
früher weithin bekannte Kufsteiner Zementherstellung des 19.
Jahrhunderts gibt es allerdings nicht mehr. Die war verbunden mit
dem Namen Kink, nach dem die Straße benannt ist. Franz Kink, 1790 in
Bozen geboren, wurde 1820 zum Straßenmeister in Kufstein berufen und
begann Zementmischungen zu entwickeln. Sein Sohn Anton hat die
Qualität des „Kufsteiner Zements“ dann so sehr verbessert, dass
er sich immer mehr neben dem sonst in Europa geschätzten Portland
Zement aus England behaupten konnte. Das ist jedoch, wie gesagt,
Vergangenheit.
Ohnehin
hat Kufstein für sich allein noch keine so große wirtschaftliche
Bedeutung. Aber es gibt einen Wirtschaftsgroßraum, der weit nach
Österreich und Deutschland hineinwirkt: das Dreieck
Kufstein-Salzburg-Rosenheim. Das Interessante daran ist das
Grenzübergreifende, was nicht erst seit EU-Zeiten hier sehr
auffällig ist. Stelle ich mir allein die Frage: Waren die
Watscheders Bayern oder Tiroler? Gelebt haben sie immer genau im
Grenzbereich, gearbeitet haben sie hüben wie drüben, geheiratet
haben sie herüber wie hinüber. Mein Opa Michael Watscheder hat
sich immer als Tiroler gefühlt – aufgewachsen in Kufstein – aber
geboren wurde er in Bayern, und die Watscheders waren als Oberaudorfer Bayern gewesen. Es scheint etwas dazwischen zu geben, oder beides
zusammen, grenzübergreifend. Später werden mir Gesprächspartner
genau das bestätigen: Wenn es nicht gerade Kriege zwischen Bayern
und Tirol gab – und das waren Kriege zwischen Wittelsbach und
Habsburg, nicht zwischen den bäuerischen Bevölkerungsgruppen –
dann haben die Menschen, die Bauern, kaum je einen Unterschied
empfunden. So grenzübergreifend ist eben auch der heutige
bayerisch-tirolerische Wirtschaftsraum.
Ich
sitze jetzt auf dem Balkon meiner Pension Striede, Mitterndorfer
Straße 20, mit einer fantastischen Aussicht auf die Festung, die ich nur von meinem Zimmer Nr. 17 aus habe. Den anderen
Zimmern wird diese Aussicht durch eine riesige Kastanie vor dem Haus
verwehrt. Ich genieße den milden Sommerabend und bin froh,
dass ich den schwülen Tag über im klimatisierten Zug verbringen
konnte. (Zwei Stunden Verspätung. ICE!) Mit 31 € pro Nacht habe ich
offenbar für Kufsteiner Verhältnisse eine eher günstige Unterkunft
gefunden. Wie auch immer, der wunderbare Blick auf die Festung
fesselt mich, und ich nehme mir vor, morgen als allererstes dort
hinaufzugehen.
Freitag,
17. Juli
Festung
Kufstein – Maistall – Nähmaschinen – Heldenorgel –
Marienbrunnen
Die
Festung, eine eindrucksvolle, wunderschön über dem Inntal prangende
Anlage. Um hinaufzukommen, muss ich
11 € bezahlen, darf dafür
aber die „Panoramabahn Kaiser Maximilian” benutzen, einen
modernen Glaskasten, der nahezu geräuschlos steil hinaufsummt (sehr
steil!), und schnell, man ist in kaum einer Minute oben. Früher
dauerte die Fahrt länger, als noch die alte Zahnradbahn da
hochratterte. Das Wort „Zahnradbahn” habe ich als Kind hier
kennengelernt. Sowas vergisst ein Junge nicht.
„Kaiser
Maximilian“, „Landshuter Erbfolgekrieg 1504“, „Purlepaus und
Weckauf“, schon die Stadt unten ist voll von diesen Begriffen, wie
erst hier oben die Festung. Jahrhundertelang hatten sich im
Mittelalter die bayerischen Wittelsbacher und die österreichischen
Habsburger um das strategisch wichtige untere Inntal mit der Festung
Kufstein geprügelt. Kufstein hatte in diesem ewigen Gekatzbalge der
beiden Kriegerkasten ständig seine Besitzer gewechselt, mal war es
Tirol gewesen, mal Bayern. Zuletzt, im ausgehenden 15. Jahrhundert,
war es bayerisch, und zwar gehörte es dem Herzog von
Bayern-Landshut, nicht dem Herzog von Bayern-München, beides
Wittelsbacher. Als dann auch noch diese Wittelsbacher untereinander
sich über Erbansprüche zerzankten, die Landshuter und die Münchner,
da kam es, wieder einmal, zur Schlacht um Kufstein. Die pfälzischen
Landshuter Wittelsbacher hielten die Stadt und wurden von den
oberbayerischen Münchner Wittelsbachern angegriffen – letztere unterstützt
von dem deutschen Kaiser Maximilian I., einem Habsburger. Der nämlich
hatte sich von dem Herzog von Bayern-München als Preis für seine
Unterstützung im Kampf um die Landshuter Ländereien Kufstein als
Preis ausbedungen. Er ließ die beiden Riesenkanonen „Weckauf”
und „Purlepaus” auffahren. Und die entschieden die Schlacht. Das
war 1504. Seitdem gehört Kufstein zu Tirol, mit nur noch wenigen
kurzen Unterbrechungen am Anfang des 18. Jahrhunderts im Spanischen
Erbfolgekrieg und am Anfang des 19. Jahrhunderts unter Napoleon.
Heute
stehen „Purlepaus” und „Weckauf” friedlich in einem
Museumszimmer in der Festung, ihre Rohre ragen gleichgültig in den
Raum. Wenn man sie so harmlos da rumstehen sieht und man bedenkt,
dass die beiden vor fünfhundert Jahren manchem Landsknecht, manchem
Stallburschen, mancher Küchenmagd die Köpfe abgerissen haben, dann
muss man lachen, oder den Kopf schütteln, je nach Mentalität. Aber
sie mussten damals noch sehr oft schießen, um einen Kopf zu
erwischen. Heute geht das einfacher.
1504
ist also die Jahreszahl, die in Kufstein jedes Kind in der Schule
lernt; Purlepaus ist in Kufstein so präsent, dass ein Restaurant so
heißt; und Kaiser Maximilian ist in Kufstein so bekannt, dass alles
mögliche nach ihm benannt ist, zum Beispiel eben die Panoramabahn
auf die Festung hinauf – als wäre er der Gründer der Stadt
gewesen.
Kaiser
Maximilian I., der „letzte Ritter“, so steht es in unseren
Schulgeschichtsbüchern, und so steht es auch auf den Hinweistafeln
in der Festung. Warum der „letzte Ritter“?
1504,
das war eine Zeit des Umbruchs: Das Feudalwesen klang aus, Kriege
wurden immer weniger mit Schwertern und in Ritterrüstungen, immer
mehr mit Kanonen geführt, das alte burgundische Ritterideal wurde
obsolet, und mit der Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach
Indien wurde der Handel immer bedeutungsvoller, das Bürgertum
erstarkte. Maximilian versuchte, das alte Rittertum aufrecht zu
erhalten, aber die zeremoniellen Auftritte bei Hofe in Ritterrüstung
waren nur noch Schein einer untergehenden Epoche. Deshalb der „letzte
Ritter“.
Von der Festung hat man
einen wundervollen Rundblick auf Kufstein zur einen Seite und auf den
Pendling (1.563 m) zur anderen. (Pendling, der markante Kufsteiner
Hausberg, der über der Landschaft thront, als wäre er der Wächter
des Inntals.) Von hier oben kann ich mir schon einmal wie auf einer
Karte den Weg nach Maistall suchen, den ich gleich nehmen werde, wenn
ich wieder unten bin.
* * * * *
In Maistall bei Kufstein
ist mein Opa Michael Watscheder groß geworden. Hier lebte er von
seinem zwölften Lebensjahr an zur Pflege in der Familie eines
Mathias Brandstätter. Und dahin, nach Maistall, führt nun mein Weg.
Die Sonne glüht vom Himmel, aber ich marschiere tapfer in der
Vormittagshitze über den Inn, über den Zeller Berg und unter der
Inntalautobahn hindurch. Gut, dass ich mein Handy-Navi habe. Und
wenn ich dennoch unsicher bin, frage ich: „Geht es hier nach
Maistall?“ „Jo, grodaus die Stroßn ume.“
Maistall, zwei,
vielleicht drei Kilometer außerhalb Kufsteins, ist kein Ort,
Maistall ist eine Wald- und Wiesenfläche, auf der sehr weit
verstreut einige Bauernhöfe stehen, heute auch mehrere neuere
Einfamilienhäuser. Eine schmale Teerstraße mit dem Namen Maistall
windet sich mit ein, zwei Verzweigungen durch diese Fläche.
In welchem der Höfe hat
Michael ab 1907 als Kind verbracht? Gibt es noch eine Familie
Brandstätter? Um es gleich zu sagen: Ich erfahre es nicht. Einmal
treffe ich auf zwei Bauern, die am Weg arbeiten: Sie wissen nichts.
Und alle Höfe abklappern, dazu ist es mir zu heiß, und das ist es
mir denn doch nicht wert.
Auf dem Rückweg nach
Kufstein, gleich bei Maistall, komme ich an der kleinen
Wallfahrtskirche von Kleinholz vorbei. Gegenüber dieser Kapelle
befindet sich ein Friedhof. Auf Friedhöfen kann man auch fündig
werden. Ich gehe also hinein, suche Mathias Brandstätter, und ich
finde ihn: An der rechten Friedhofswand, der sechste Grabstein. Ich
lese:
Es ruhen in Gott
Mathias Brandstätter
1874 – 1946
Kreszenz Brandstätter
1868 – 1952
Das müssen sie sein,
Michaels Pflegeeltern! Die Lebensdaten können stimmen, auch die Nähe
zu Maistall. Ich frage eine ältere Frau, ob ihr der Name etwas sage
und ob sie wisse, wo die Brandstätters gewohnt hätten. In schier
überschäumender Hilfsbereitschaft erklärt sie, ihr sei so, sie
meine, sie könne sich vorstellen, da gebe es eine alte Dame dort und
dort. Sie nimmt mich mit ihrem Mann im Auto mit – Klimaanlage!
Herrlich! – und zeigt mir das Haus, in dem ich mal fragen solle.
Viel Erfolg wünscht sie mir im Wegfahren.
Ich klingele an der mir
von der Frau angegebenen Haustür. Da habe tatsächlich eine ältere
Dame gewohnt, werde ich sehr kurz angebunden, fast abweisend von
einem jungen Mann beschieden, aber die sei vor zwei Jahren gestorben.
Kann sein, dass ich wirklich zwei Jahre zu spät gekommen bin. Ich
glaube allerdings eher, dass der Wunsch mir helfen zu wollen mit der
Frau durchgegangen ist. Jedenfall erfahre ich leider Gottes nicht, in
welchem Haus mein Opa gelebt hat.
* * * * *
Berühmte Kufsteiner: Bei
Wikipedia lese ich: Martin von Baumgartner (1473 – 1535),
Bergwerkbesitzer und Palästinafahrer; Robert Blunder (geb. 1957),
Schriftsteller; Karl Ganzer (1920 – 1988), Dichter und Vertoner des
Kufsteinlieds; Johann Obersteiner (1824 – 1896), Komponist
(zufällig dieselben Lebensdaten wie Bruckner); Max Reisch (1912 –
1985), Orient-Forscher und Schriftsteller. Alles lokale Größen, man
kennt sie nicht.
Und da ist noch einer:
Joseph Madersperger (1768 – 1850), man stolpert förmlich über
ihn, wenn man durch die Kinkstraße geht, Kinkstraße 16,
nur zwei Häuser neben dem Geburtshaus meiner Mutter (Hausnummer 18
gibt es nicht), die Watscheders müssen das Haus gekannt haben. Es
ist das Haus, in dem dieser Madersperger das Licht der Welt erblickt hat, heute ein Museum, ein
Nähmaschinenmuseum, denn Joseph Madersperger hat die Nähmaschine
erfunden. So steht es jedenfalls am Eingang: „Multivision – wie
die Nähmaschine in Kufstein erfunden wurde!“ Eintritt:
„Freiwillige Spende“.
Also
hinein. Ein dunkler Raum. Kein Lichtschalter? In einer schwach
beleuchteten Vitrine einige alte Nähmaschinen. Hier ist ein
Schalter: „Bitte drücken für
Vorstellung”. Ich drücke und setze mich auf eine Bank. Und dann
wird mir die Geschichte von der Entwicklung der Nähmaschine erzählt.
Man hört mehr, sehen tut man nur das gelegentliche Aufleuchten der
Vitrine. Ich erfahre, dass es viele Erfinder unabhängig voneinander
gegeben habe, Elias Howe und Walter Hunt in den USA, die Firma Lada
in Russland, Thomas Saint in England, Barthélemy Thimonnier in
Frankreich, und neben noch weiteren eben auch Joseph Madersperger in
... nein, nicht in Kufstein, in Wien. Er kam nur aus Kufstein.
Insofern ist die Werbeschrift am Eingang falsch.
Der
arme Madersperger hat seine Erfindung nicht patentieren lassen, das
gab es 1814 in Wien noch nicht. Er stieß aber ohnehin auf nur wenig
Interesse mit seiner Neuheit, wie die meisten anderen
Nähmaschinenerfinder in dieser Zeit auch. Man kann aber heute wohl
mit Fug und Recht sagen, dass er einer der Erfinder der Nähmaschine
war. Der Kufsteiner weiß natürlich: Er war der Erfinder.
* * * * *
Am
Abend im Restaurant „Purlepaus” am Rathaus. Das muss sein nach
dem morgendlichen Besuch der Festung mit den beiden Kanonen. „Purli's
Schmaus“ heißt mein Essen, es schmeckt besser als es die falsche
Rechtschreibung auf der Speisekarte befürchten lässt. Anschließend
ein Eis in „Udos Eisparadies“ am Unteren Stadtplatz, dem
zentralen Platz der Altstadt gleich unterhalb der Festung.
Und
plötzlich erschallt über den ganzen Platz die „Heldenorgel“.
Jeden Abend um sechs Uhr erklingt sie für eine Viertelstunde, in
allen Straßen der Stadt kann man sie hören, bei günstiger
Witterung sogar in zwanzig Kilometern Entfernung bis hinauf auf den
Geigelstein, Schlechings Hausberg, so sagt mir später meine
Schlechinger Pensionswirtin. Die Pfeifen und Glocken der Orgel
befinden sich hoch oben unter dem Dach eines der Festungstürme, und
der Organist sitzt in einem Häuschen mit großen Glasfenstern unten
neben dem Festungseingang. Die Watscheders haben sie nicht
mehr erlebt, sie ist erst 1931 gebaut worden, ein Jahr nach dem
Weggang der Familie nach Villach.
Verschiedenste
Musikstücke werden gespielt, ich erkenne Händels „Auftritt der
Königin von Saba“, den Gefangenenchor aus Nabucco, Bach, auch
Vivaldi? Und am Ende immer „Ich hatt' einen Kameraden“, denn die
„Heldenorgel“ ist ein Kriegerdenkmal, „das wohl einzige tönende
Kriegerdenkmal“, wie die Infotafel am Festungseingang sagt.
Am unteren Ende des
Unteren Stadtplatzes stehe ich vor dem hübschen neugotischen
Marienbrunnen von 1863, den die Watscheders gekannt haben
werden. Der Brunnen hat eine kleine Geschichte, die aber erst viel
später spielt. 1963, nach 100 Jahren Bestand, ist er nämlich
ersetzt worden durch den neuen Brunnen eines Tiroler Bildhauers. Der
Widerstand der Kufsteiner jedoch gegen dies moderne Zeugs war
gewaltig. Ausdruck dieses Widerstands war unter anderem
Seifenschaum, der immer wieder in den Brunnen gekippt wurde, so dass
der ganze, ziemlich abschüssige Platz verschäumt und gefährlich
glitschig war; oder Kaliumpermanganat, das das Wasser tief violett
färbte. Man veranstaltete Protestversammlungen, verfasste
Petitionen, ging auf wütende Demonstrationen. Nach dreizehn Jahren
Kampf gab die Stadtverwaltung schließlich nach, der alte
Marienbrunnen kam 1977 restauriert zurück, und der andere steht nun
in Bad Häring bei Kufstein, dem Heimatort des Erbauers. Eigentlich
auch ganz nett anzusehen.
Sonnabend,
18. Juli
Nach
Oberaudorf – Zollhaus Erl
Der
Inn ist mit über fünfhundert Kilometern Länge einer der großen
Alpenflüsse. Sein Name ist – vermutlich – keltischen,
möglicherweise sogar vorkeltischen Ursprungs wie bei vielen Flüssen
Europas. Er ist in der Kufsteiner Gegend schon über hundert Meter breit,
obwohl er noch eine weite Strecke vor sich hat. Er fließt bis Passau
„rechts zur Donau hin“, wie es bayerische Erstklässler im
Heimatkundeunterricht lernen:
Iller,
Lech und Isar, Inn
fließen
rechts zur Donau hin,
Altmühl,
Naab und Regen
fließen
links entgegen.
An
diesem breiten Fluss entlang geht mein erster Wanderweg.
Ich marschiere in der Sommerhitze auf einem sehr schön ausgebauten
Wander- und Radweg nach Norden, zum Ausgang der Alpen, in der
Fließrichtung des Flusses. Er fließt schnell, ich gehe langsamer
als die Strömung. Ich bleibe auf der rechten, also Tiroler Seite des
Inns, vor allem, damit ich nicht zu nah an der Autobahn gehen muss,
die die ganze Zeit auf der linken, bayerischen Seite neben dem Fluss
herläuft. Das Autorauschen begleitet mich dennoch den ganzen Tag.
Ich ignoriere es und genieße meinen Weg. Drüben am anderen Ufer
sehe ich Kiefersfelden. Auf dieser Flussseite passiere ich
Eichelwang, Oberndorf, Ebbs. Es geht so herrlich langsam voran. Wenn
ich mich umdrehe, sehe ich immer den „Innwächter“ Pendling, der
von Kufstein grüßt und mich bis zum Ziel nicht verlässt. Ich
wandere am Wasserkraftwerk Oberaudorf-Ebbs vorüber, wieder so eine
grenzübergreifende Einrichtung.
Erst
als ich über die Innbrücke nach Oberaudorf gehe, verlasse ich Tirol
und betrete bayerischen Boden. Ich verabschiede mich vom Pendling,
der sich hinter einen Bergrücken zurückzieht, überquere die
Autobahn, deren Rauschen sich zu einem letzten Aufschrei erhebt. Dann
bin ich, nach einem fünfstündigen Hitze-Marsch, in Oberaudorf.
Warum Oberaudorf?
Die Watscheders stammten ursprünglich aus Oberaudorf. Irgendwo in Oberaudorf gibt es einen Watschederschen Ursprungshof. Mein Ururgroßvater, Michael Watscheder, ist vor hundertfünfzig Jahren von Oberaudorf
aufgebrochen, um woanders eine neue Existenz aufzubauen, was ihm,
wie noch zu erzählen sein wird, nicht immer geglückt ist.
Was ist das für ein Ort, aus dem die Watscheders
kamen? Er liegt malerisch im Inntal, ein größeres Dorf mit
ungefähr fünftausend Einwohnern, als Ort selber aber wenig attraktiv. Auch
die Kirche beeindruckt mich wenig. Das jedoch bewegt mich nicht so
sehr wie die Frage nach den Watscheders: Gibt es den Ursprungshof
noch? Wo genau steht der? Und wer war jener Sebastian Watscheder, der
Vater meines Ururgroßvaters Michael, also mein dreimaliger
Urgroßvater, mein bisher am weitesten zurückzuverfolgender Urahn,
von dem wir nur den Namen kennen? Er muss von ca. 1780 bis ca. 1850
gelebt haben. Kann man über ihn etwas in Erfahrung bringen?
Erst seit kurzem weiß ich, wo der ursprüngliche Watscheder-Hof steht: in Watschöd
bei Oberaudorf. Und das war eine Sensationsnachricht, als ich das erfuhr: Plötzlich
weiß ich, woher der Name Watscheder kommt. Zeit meines Lebens, erinnere ich mich, haben wir uns in der Familie gefragt, was dieser Name bedeute, dieser etwas rumpelige, hier würde man sagen patscherte Name. Er ist sehr selten, auch in Österreich, wenn er überhaupt außerhalb unserer Familie existiert. Jetzt wissen wir, dass er von Watschöd kommt. Wo ist dieses Watschöd? Wie sieht es dort aus?
Aber
der Reihe nach. Jetzt muss ich erstmal in meine Pension. Das ist das
Gästehaus Schweinsteiger und steht in der Straße Am Gscheierbichl –
so einen Straßennamen findest du in Norddeutschland nicht –
Hausnummer 15, gleich hinter einer kleinen modernen evangelischen
Kirche (von 1958). Schweinsteiger? Erst als ich mich bei der
Reisevorbereitung mit Oberaudorf beschäftigt habe, erfuhr ich, dass
Bastian Schweinsteiger Oberaudorfer ist. Ich begrüße also meine
Wirtin Frau Fürbeck und, na?, hat das Haus etwas mit dem Fußballer
zu tun? Im Hausflur prangt ein riesengroßes Foto von ihm. Ich frage
sie also, und ja, sie ist seine Tante, eine geborene Schweinsteiger. „Aber wir sehen ihn hier
sehr selten, unseren Basti.“
Ich
kühle mich in meinem Zimmer ab (Zimmer 11, 25 € die Nacht,
billiger und besser als in Kufstein). Ich denke mir, dass mir Vetter
Basti – natürlich habe ich ihn gleich zu einem Watschederschen
Verwandten gemacht – nicht viel bringt. Aber etwas ganz anderes
werde ich in dieser Pension erfahren.
Jetzt
aber erst einmal zum Zollhaus von Erl, zu der anderen Seite
meiner bayerisch-tirolerischen Vorfahren, zu den Baronen von
Winkelhofen. Die Barone von Winkelhofen waren eine weit verzweigte namhafte Familie aus Milland bei Brixen in Südtirol. Die Winkelhof-Linie der Zollbeamten in Erl, meine direkten Vorfahren, scheinen eine Nebenlinie gewesen zu sein, die in den Aufzeichnungen über die Millander Winkelhofens keine Erwähnung gefunden hat.
(Nachtrag
von meinem Besuch in Brixen Ende August 2015:
In Milland - heute ein Stadtteil von Brixen - auf der anderen Seite des Eisack
unterhalb der Rienzmündung, steht ein älteres, etwas verkommenes,
aber immer noch stattlich wirkendes Haus aus dem späten Mittelalter:
der „Ansitz“ – so nennt man hier die Herrschaftshäuser des
niederen Landadels – derer von Winkelhofen. Auf einer
Informationstafel steht der Name des Gebäudes: „Karlsburg“, so
genannt nach dem ersten Winkelhofen, der es 1618 erworben hat, ein
Karl Hannibal Freiherr von Winkelhofen zu Englös und Neidenstein.
Bis 1855, so steht es auf der Tafel, ist es im Besitz der Freiherren
von Winkelhofen gewesen.
Die
Familie Winkelhofen gehört, so lese ich in einem Aufsatz über die
Ansitze in Milland, zu den Kleinadelsfamilien, die ihren Aufstieg in
den Adelsstand der historischen Entwicklung im 16. und 17.
Jahrhundert zu verdanken hatten: Die Landesherren, also Herzöge und
Bischöfe, die in einem fortwährenden Gegensatz zum deutschen
Kaiser standen und immer mehr auf ihre Unabhängigkeit pochten,
benötigten für ihre sich ständig ausweitenden Verwaltungen loyale
Beamte, die sie als Lohn für ihre landesfürstlichen Tätigkeiten
per Urkunde zu Freiherren ernannten („Briefadel“). So machte es
auch der Bischof von Brixen, der im 16. Jahrhundert für die „Pflege
Anras“ (Ort im Osttiroler Pustertal) und für die „Pflege
Toblach“ (im Südtiroler Pustertal) die ersten Winkelhofens
angestellt hat. Die kamen aus dem Schwäbischen, wohin sie im
Mittelalter aus Südtirol ausgewandert waren, Biberach lese ich und
Ehingen an der Donau. Bei Biberach soll es ein „Gut Winckelhof“
gegeben haben. (Da, wo heute in dem Dorf Schwendi, zwischen Biberach
und Ulm, der Winkelhofener Weg ist?) Ein Zweig kam im 16. Jahrhundert
zurück und wurde dann eben für seine Dienste am Hochstift von
Brixen in den Freiherrenstand erhoben.
Eine
Anmerkung zu den Adelstiteln „Freiherr“ und „Baron“: Beides
ist dasselbe. Aber „Freiherr“ ist der historisch korrekte Titel
aus dem Mittelalter, „Baron“ ist im deutschsprachigen Raum die
erst in späteren frankophilen Zeiten entstandene französische
Anrede für einen Freiherrn; das wurde als eleganter empfunden. Die
Ehefrau des Barons war übrigens nicht eine Baronesse, sondern eine
Baronin (offiziell „Freifrau“), während die Baronesse die
unverheiratete Tochter eines Barons war (offiziell „Freiin“ oder
„Freifräulein“). Das muss sehr wohl unterschieden sein. Da nun
im 19. Jahrhundert die Freiherren von der Landbevölkerung nur noch
höflich als Barone angeredet wurden, so auch in Schleching, bleibe
ich bei diesem erst neuzeitlich entstandenen inoffiziellen Titel,
wenn ich von den Winkelhofens in Erl und Schleching spreche.
Soweit
der Nachtrag aus Brixen.)
Auf den Spuren dieser Winkelhofens gehe ich jetzt also wieder zurück über den Inn, wieder nach Tirol, in das Örtchen Erl, und suche das
ehemalige Zollhaus, in dem ein Johann Baron von Winkelhofen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Zolloberaufseher
gewesen ist, ebenso wie dessen Sohn (vermutlich) Franz Baron von
Winkelhofen, der in Erl 1883 pensioniert wurde. Dieser Franz von
Winkelhofen kam 1825 zur Welt, denkbar hier in Erl (oder Kufstein?).
Und der hatte eine jüngere Schwester – oder war sie eine Kusine? –
Rosina Baronesse von Winkelhofen, 1826 in Kufstein geboren (Zell am
Zeller Berg). Und die hat später, 1862, meinen Ururgroßvater
Michael Watscheder geheiratet, von dem ich schon gesprochen habe,
derjenige, der von Oberaudorf fortgezogen ist. Sie ist somit meine
Ururgroßmutter. (Da sie einen Bauern, keinen Baron geheiratet hat,
war sie keine Baronin, sondern eine Baronesse, jedenfalls bis zur
Eheschließung: In der Heiratsurkunde heißt es: „Rosina
Watscheder, geborene Baronesse von Winkelhofen“.)
Noch
eine Nachbemerkung: In dem Aufsatz über die Ansitze in Milland lese
ich später überrascht, dass ein Johann Thomas, Advokat in Brixen,
der 1848 verstorbene letzte Winkelhofensche Besitzer der „Karlsburg“
gewesen sei: Der Ansitz sei im Besitz der Familie verblieben, steht
da, „bis zu deren Aussterben im Jahr 1848.“ Aussterben 1848? War
dieser Johann Thomas ein anderer als Rosinas Vater, der in ihrer
Geburtsurkunde Johann Anton heißt? Hatten jetzt Franz und Rosina gar
nichts mit der „Karlsburg“ zu tun, weil sie zu einer anderen
Linie der weit verzweigten Familie gehörten? Oder haben doch sie
(mit weiteren Geschwistern?) 1855 den Ansitz verkauft? Das bleibt
leider offen.
Aber
zurück nach Erl: Steht das Zollhaus noch?, so jetzt meine Frage. Und
die erfreuliche Antwort in diesem Fall lautet: Ja, es steht noch. Ich
überquere die hölzerne Fußgängerbrücke über den Inn, die
„Zollhausbrücke“, 1995 errichtet, hundert Jahre nach Errichtung
der ersten Brücke 1895. Ich zähle dabei die Schritte, die
ich brauche, es sind hundertzwanzig, die deutsch-österreichische
(bayerisch-tirolerische) Grenze in der Flussmitte nach genau sechzig
Schritten. Und, wieder auf Tiroler Boden, gehe ich direkt auf das
Haus zu. Es ist heute ein Wohnhaus, in gutem Zustand. Es
steht etwa zwei Kilometer südlich des Dorfes Erl an einer wenig
befahrenen Landstraße. An der Vorderseite findet man das Porträt
eines Adolf Pichler, Tiroler Dichter, der 1819 in diesem Haus geboren
wurde. Er war der Sohn eines „subalternen“ Zollbeamten,
wie ich nachlese. Gut möglich, dass mein Ahn Johann Baron von
Winkelhofen damals schon dort im Amt war und damit Chef des Vaters
von Adolf Pichler.
Ich
frage einen alten Mann, der vor dem Haus an einer elektrischen Säge
Holz schneidet, ob er mir etwas über das Zollhaus sagen könne.
Alles, was der sicher weiß, ist, dass es ein Zollhaus gewesen sei.
„Wie sind die Leute vor 1895 über den Inn gelangt?“, frage ich
ihn. „Dort drüben war eine Fähre.“ Er zeigt mit dem
Arm zu einer Stelle etwa hundert Meter entfernt. „Wissen Sie etwas
über die Zollinspektoren, die hier im 19. Jahrhundert gelebt haben?
Gibt es da Unterlagen?“ Freundlich grinsend schüttelt er den Kopf
und verweist mich an den Gugglberger Georg in Erl, der solche Dinge
wisse. (Ich verstehe Googleberger.)
Später,
zurück in meiner Pension Schweinsteiger, suche ich die Telefonnummer
von Georg Gugglberger. Es gibt drei in Erl. Einer ist
Immobilienmakler, der wird es kaum sein. Dann gibt es einen junior
und einen senior. Ich rufe den Gugglberger senior an. Er ist
der richtige. Ich frage ihn, ob es Unterlagen gebe, aus denen
hervorgehe, von wann bis wann genau die Zollbeamten in Erl tätig
gewesen seien. Ich möchte nämlich wissen, wann Johann von
Winkelhofen seinen Zolldienst begonnen hat, und ob nach seinem Tod
1848 sein Sohn Franz der unmittelbare Nachfolger war. Leider hat Herr
Gugglberger keine Ahnung. Er gibt mir aber die Telefonnummer vom
Kitzbichler Peter, der sei in Erl der Dorfhistoriker, der könne
vielleicht etwas über die Vergangenheit des Zollhauses sagen. Ich
rufe ihn an. (Ich höre die Frau ihrem Mann zuraunen: „Da ist einer
aus Hamburg, der hat unsere Nummer vom Gugglberger Schorsch.“)
Leider auch hier Fehlanzeige. Seinen Rat, es mal im Zollamt Innsbruck
zu versuchen, befolge ich nicht. Das ist mir zu aufwendig, und auch
davon verspreche ich mir nichts. Die Fragen bleiben also
unbeantwortet. Schade. Vielleicht werde ich das später von Hamburg
aus mal versuchen.
Am Abend treffe ich Frau Fürbeck, Bastian Schweinsteigers Tante. Ich erzähle ihr von dem Erler Zollhaus, von dem vergeblichen Versuch, etwas über die Vergangenheit des Zollhauses zu erfahren, und welche familiären Interessen mich überhaupt nach Oberaudorf geführt hätten. "Kennen Sie hier im Ort einen Watscheder?", frage ich sie. Nein, den Namen hat sie noch nie gehört. Überhaupt kenne sie sich in der Geschichte Oberaudorfs gar nicht aus. "Meine Mutter wusste immer alles. Ich hab aber nie aufgepasst." Sie habe aber, fügt sie dann an, eine Oberaudorfer Chronik, von einem früheren Pfarrer geschrieben, er sei inzwischen gestorben, ob ich das lesen wolle.
Oberaudorfer Chronik? Was soll ich damit? Die Oberaudorfer Geschichte interessiert mich nicht. Mehr aus Höflichkeit sage ich, dass ich da morgen gerne mal einen Blick hineinwerfen würde.
Am Abend treffe ich Frau Fürbeck, Bastian Schweinsteigers Tante. Ich erzähle ihr von dem Erler Zollhaus, von dem vergeblichen Versuch, etwas über die Vergangenheit des Zollhauses zu erfahren, und welche familiären Interessen mich überhaupt nach Oberaudorf geführt hätten. "Kennen Sie hier im Ort einen Watscheder?", frage ich sie. Nein, den Namen hat sie noch nie gehört. Überhaupt kenne sie sich in der Geschichte Oberaudorfs gar nicht aus. "Meine Mutter wusste immer alles. Ich hab aber nie aufgepasst." Sie habe aber, fügt sie dann an, eine Oberaudorfer Chronik, von einem früheren Pfarrer geschrieben, er sei inzwischen gestorben, ob ich das lesen wolle.
Oberaudorfer Chronik? Was soll ich damit? Die Oberaudorfer Geschichte interessiert mich nicht. Mehr aus Höflichkeit sage ich, dass ich da morgen gerne mal einen Blick hineinwerfen würde.
Sonntag,
19. Juli
Watschöd
– Pointner
Gleich
oberhalb von Oberaudorf, nordwestlich an der Straße nach
Bayrischzell, liegt der Ortsteil Watschöd. Karin Raab aus
Unterwössen bei Schleching, eine Kusine dritten Grades, die ich erst jetzt kennengelernt habe,
hat uns mitgeteilt, in ihrer Familie sei es immer
schon bekannt gewesen, dass die Watscheders von genau diesem
Watschöd kämen und auch daher ihren Namen hätten.
Dieses
Watschöd will ich mir heute ansehen.
Es
ist kein schöner Weg. Ich gehe bergauf auf einer schmalen, kurvigen
Straße ohne Gehweg, kaum ein Rand, links steiler Felsen hinauf,
rechts steiler baumbestandener Abhang hinab zum Fischbach. Die Sonne
brennt schon am Vormittag wieder erbarmungslos vom Himmel, an das
Schwitzen habe ich mich fast schon gewöhnt. An mir vorbei brausen
Motorräder, Autos, Rennräder (hinauf überholen sie mich langsam,
von hinten höre ich mühsames Schnaufen näherkommen, hinab sausen
sie mir halsbrecherisch entgegen), und immer wieder brummende und
knatternde Motorräder, ganze Horden. Immerhin keine Lieferwagen,
heute ist Sonntag. Vor mir immer der kantige Gipfel des Brünnstein,
mit 1.634 Metern Höhe eher niedrig, wie alle Berge dieses
Alpenauslaufgebirges. Er steht aber sehr markant in der Landschaft,
ähnlich wie der Pendling in Kufstein ist er von überall zu sehen.
Ich fasse in die Tasche, um sicherzugehen, dass ich ihn nicht
vergessen habe, den Papierausdruck des Fotos von dem Bauernhaus, das
ich von meiner neu entdeckten
Kusine habe. Dies Haus soll auf dem Ursprungshof der Watscheders stehen.
Oben
angelangt, ich zerfließe in Schweiß, endlich Watschöd. Die
Landstraße geht weiter geradeaus, rechts hinauf der Weg, der an
einem Berggasthof vorbei in einer Serpentinenkurve zu zwei großen
Gehöften führt. Das also ist Watschöd, mein Watschöd. Es ist
eigentlich nichts weiter als eine ziemlich steile Hangfläche. Eines von diesen beiden Gehöften soll mein Watscheder-Hof
sein. Oder ist es hier unten der Berggasthof „Hummelei”?
Ich
kehre in diesem Berggasthof ein, muss dringend trinken. Von einer
großzügigen Terrasse aus hat man einen herrlichen Blick über
Oberaudorf und das Inntal zum Kaisergebirge. Watschöd 1. Das wäre
ein Watscheder-Hof!
Ich
setze mich. Alles klebt an mir. „Ein großes
Wasser, bitte.“ Die Kellnerin ist sehr beschäftigt. Bin ich ihr
etwa lästig? Aber ich bekomme mein Wasser. Ich versuche: „Sagen
Sie …?“ Weg ist sie. Dann wuselt sie stöhnend und mit verhärmtem
Gesichtsausdruck an den leeren Tischen herum, Tischdecken müssen
aufgelegt werden. Neuer Versuch: „Sagen Sie …“ Genervt: „Ja?“
„Wissen Sie, woher der Name Watschöd kommt?“ „Nein.“
Weiteres Wuseln mit den Tischdecken. „Kennen Sie vielleicht jemand
…?“ „Ja. Aber das kann ich Ihnen gleich sagen, jetzt hat hier
keiner Zeit. Heute ist Sonntag, und da haben wir Stress pur.“ Und
wieder ist sie weg. Bayerischer und norddeutscher Charme geben sich
wohl nicht viel.
Hier
erfahre ich nichts. Ich bezahle meine 2,20 € für das Wasser –
keinen Cent Trinkgeld! Gastwarze! Dies kann unmöglich der
Watscheder-Hof gewesen sein! – und gehe weiter die schmale
Serpentinenstraße den Watschöd-Hang hinauf. Etwas abseits gelegen
sehe ich Watschöd 4. Ist es dort, wo die Watscheders lebten? Wo sind
Watschöd 2 und 3? Der letzte Hof oben ist Watschöd 5,
stattlich, groß, sauber, Blumenreihen auf den Balkons. Ich gehe
durch den Hof hindurch an einem offenen Kuhstall vorbei bis zur
Frontseite des Hauses, ziehe das Foto aus der Tasche und vergleiche.
Volltreffer! Das ist exakt das Haus, sofort zu erkennen. Sogar
die Sitzbank neben dem Eingang ist da. Watschöd 5 also. Ich gehe
zur Haustür, die offen steht, klopfe, rufe. Kein Mensch meldet sich.
Ich habe draußen im Hof auch kein Auto stehen sehen. Es ist Sonntag
Vormittag, sind sie alle in der Messe? In das Haus hinein möchte ich
nicht. Also wende ich mich wieder schweren Herzens zum Gehen. Aus
dem Stall glotzen mich die Kühe gleichmütig schnaufend und
schmatzend an. „Seid ihr die Watscheders?“, rufe ich hinein.
„Muh!“ Vergelt's Gott.
Beim
Googeln finde ich, dass der Hof auch Fremdenzimmer hat. Vielleicht
müsste man sich dort einfach mal einquartieren. Die Adresse lautet
Familie
Waller
Watschöd
5
83080
Oberaudorf
Tel.
08033 - 1670
Zurück
in der Pension finde ich auf dem Tisch vor meiner Zimmertür zwei
dicke Folianten, zwei Bände der Chronik „Unser Audorf“, über
die ich mit Frau Fürbeck gestern gesprochen habe. Ich nehme sie mit
ins Zimmer, und nachdem ich mich unter der Dusche abgekühlt habe,
blättere ich lustlos in den beiden Wälzern. Gerade will ich den
zweiten Band weglegen, da sehe ich hinten in dem Buch eine
seitenlange, endlose Namensliste. Ich schlage nach, was das für
Namen sind – und finde auf fast 300 Seiten eine Besitzerliste
sämtlicher Bauernhöfe in Oberaudorf. Da muss sich der Verfasser
dieser Chronik (herausgegeben von der Gemeinde Oberaudorf 1991), ein
Dr. Josef Bernrieder, die Mühe gemacht haben, die Archive der Stadt
und der Pfarrei durchzuarbeiten und alle Namen, Daten, Erbschaften,
Kaufverträge usw. fein säuberlich aufzuschreiben. Ich werde wach.
Wenn da die Besitzer von jedem Bauernhof aufgeführt sind, teilweise
seit dem 15. Jahrhundert, dann müsste doch auch der Watscheder-Hof
in Watschöd dabei sein. Ich suche den Abschnitt „Watschöd“.
Viel ist es nicht, was da steht, gerade mal zwei Höfe, der Prosthof
und der Weindlhof. Ich gehe die Namen des Prosthofes durch, heute
Watschöd 4. Nichts Auffälliges, kein Watscheder. Aber unser Hof
soll ja auch nicht Watschöd 4 sein, sondern Watschöd 5. Das ist der
Weindlhof. Ich schaue mir also die Namen des Weindlhofes an. Kein
Watscheder zu entdecken. Ich gehe die Namen noch einmal durch, Name
für Name, und finde von 1478 bis 1669 ganze achtmal einen Watscheder-ähnlichen
Namen – in den damaligen Zeiten gab es keine einheitliche
Rechtschreibung, bei Namen sowieso nicht: Wadschayder, Wädschaid,
Watschaider, Wadtschaidt Wätschat, Wätschät, Wätschet und
nochmal Wätschat. Und ich finde einen Sebastian, nicht Watscheder,
aber einen Sebastian Reheis, dessen Lebensdaten aber mit meinen
Vermutungen übereinstimmen: 1865 gestorben, „86-jährig“, steht
dabei, das heißt 1779 geboren. Das kommt hin. Wenn das mein
Sebastian Watscheder ist, dann hieße das, dass Michael Watscheder,
der zusammen mit Rosina von Winkelhofen Oberaudorf verlassen hat, um
eine neue Existenz aufzubauen, nicht unter seinem eigentlichen
Familiennamen Reheis aktenkundig geworden ist, sondern unter dem
Namen des Hofes, dem Vulgonamen. Das wäre keineswegs ungewöhnlich.
Noch heute sind Bauern allgemein unter dem Namen des Hofes (Vulgo)
bekannt und nicht unter dem bürgerlichen Familiennamen. Auch
Winkelhofen war ja ursprünglich ein Hofname: Winkelhof das Gut im
Schwäbischen, woher die Tiroler Winkelhofens mal kamen. Bei den
amtlichen Vermerken hat man wohl auch früher schon möglichst diese
bürgerlichen Familiennamen verwendet, im Volk aber – daher „vulgo“
– tat man das nicht. Ich vermute, dass der Hof Watschöd 5 über
Jahrhunderte unter dem Vulgonamen Watschöd bekannt war, und dass
die Bauern auf diesem Watschödhof die Watschöder Bauern waren. Sie
wurden so genannt und nannten sich selber so. Bedenklich ist nur,
dass der Hof heute Weindlhof heißt. Vulgonamen ändern sich
eigentlich in der Regel nicht.
Ich kann nicht sagen,
dass das so jetzt erwiesen sei. Ich meine aber, dass doch genug
Indizien darauf hinweisen, dass es so gewesen sein muss. Ich glaube,
Michael Watscheder hieß eigentlich Michael Reheis. Er hat sich aber,
vermutlich wie sein Vater Sebastian, Watscheder genannt, weil er sich
so kannte. Und die Ämter, die dann im Weiteren immer „Watscheder“
geschrieben haben, waren weit weg von Oberaudorf und haben nicht groß
nachprüfen können oder wollen, ob der Name nach bürgerlichem
Gesetz so stimmte.
Demnach aber hätte mein
Opa gar nicht Watscheder heißen dürfen, sondern Reheis? Meine Mutter eine geborene Reheis? Klingt nett. Aber nein, da
ist doch unser Rumpelname Watscheder viel schöner, viel
eindrucksvoller. Bei dem bleiben wir!
Wenn das alles stimmt,
dann kann ich meine Watschederschen Vorfahren zurückverfolgen
bis 1762, als ein Paul Reheis in den Hof eingeheiratet hat, ja über
dessen Ehefrau Anna Schweinsteiger sogar noch weiter mindestens bis
1652, als Simon Schweinsteiger, der dann ja ebenfalls noch ein
direkter Vorfahr wäre, den Hof übernommen hat.
Der Bauer also, der
seinen väterlichen Hof Watschöd verlassen hat, hieß eigentlich
Michael Reheis, nannte sich aber Watscheder. Warum er den Hof nicht
geerbt hat, warum eine Anna Reheis, doch wohl seine Schwester, den
Hof übernommen hat, dafür kann es viele Gründe geben. Ungewöhnlich
ist es nicht. Jedenfalls hat er seine Freundin, möglicherweise schon
Braut, Rosina Baronesse von Winkelhofen, mit zwei kleinen gemeinsamen
Kindern mitgenommen.
Die Liebesgeschichte
zwischen Michael und Rosina kennen wir natürlich nicht. Wie sie sich
kennengelernt haben, können wir nicht einmal raten. Auf jeden Fall
sind Watschöd und Erl nicht weit voneinander entfernt, kaum mehr als
eine halbe Gehstunde. Und über den Inn gab es die Fähre. Die
Tatsache, dass er Bayer und sie Tirolerin war, war schon mal
überhaupt kein Hinderungsgrund für eine Beziehung. Die Grenze
spielte höchstens für den Zollbeamten eine Rolle, der von ihr
lebte, sowohl durch das Gehalt wie sicher auch durch gut bezahltes
Augenzudrücken. Dass ein Bauernsohn sich mit einer Baronesse liiert
hat, ist nicht gerade üblich gewesen. Aber ich habe den Eindruck,
dass die ländlichen Winkelhofens eher bäuerlich denkende und
bäuerlich lebende Barone waren. Es sieht jedenfalls nicht so aus,
als ob Rosina sich mit ihrer Familie überworfen hätte. Im
Gegenteil, ihr Bruder (oder Vetter?) Franz, Zolloberaufseher in Erl,
ist seiner Schwester (Base?) später als Pensionär nach Schleching
nachgezogen und ist Pate so manches Rosina-Enkelkindes geworden.
Dass Michael und Rosina
bei der Geburt ihres ersten Kindes schon recht alt waren, er 39 und
sie 35, das ist schon ein wenig erstaunlich. Dass sie erst so spät,
nämlich mit 40 und 36, offiziell geheiratet haben und damit dann
nachträglich ihre beiden Kinder „legitimiert“ haben, das ist
wiederum leicht mit wirtschaftlichen Verhältnissen zu erklären.
Viele Bauern haben spät geheiratet, weil sie es sich vorher einfach
nicht leisten konnten. Dementsprechend viele uneheliche Kinder gab
es.
* * * * *
Beim weiteren Blättern
durch die Audorfer Chronik finde ich auch noch die Herkunft des
Namen Watschöd. Hier steht es:
„Watschöd
Im Salbuch von 1440 sind
bereits zwei Anwesen angegeben, die Vogthafer abzuliefern haben.
Watschayd und Watschayd,
auch Wegschaidt (Wortverstümmelung).
In Wätschayt (Watschöd)
sitzt der Schuster auf ½ Lehen der niederbayerischen Herzöge, der
Stephel auf einem ½ Lehen der Hofmark Urfahrn. Der Name „Watschayd“
ist zu erklären mit Watschar: swâs, was zum Haus gehört, schad =
schar, scara = von „scerian“ kommend = scheren, schneiden – :
Was vom Haus abgetrennt
ist (Ausbruch) (K. Finsterwalder, das Wort Watschar im
Bairisch-Österreichischen, Schlern – Schriften 57, Innsbruck
1948, S. 59); hat also nichts mit „öd“ = öde zu tun.
Watschar war im
Mittelalter die kleinste landwirtschaftliche Einheit.“
Soweit Josef Bernrieder.
Am Anfang dieses kleinen Textes gleich ein Beleg dafür, dass
„Watschayd“ – zumindest 1440 – tatsächlich ein Hofname
gewesen ist. Watschöd ist also eine kleine, die kleinste
landwirtschaftliche Einheit, ursprünglich ein vom Bauernhaus
abgetrennter Teil. Jetzt wissen wir es endlich: Daher also kommt der
Name Watscheder. Nichts mit „Wasserscheide“, was mal jemand
vermutet hat, oder „Wegscheide“ („Wortverstümmelung“),
sondern der von der kleinen Fläche, von der Hufe, vom Watschar
Kommende.
___________________________________
Nachtrag:
Hamburg, 6. September:
Ich habe inzwischen den
„Ahnenpass“ meiner Mutter durchgeblättert. (Ahnenpass? Ja, das gab es im
Dritten Reich: „Ariernachweis“. 1942 wurde dieser für die
damals knapp 19-jährige Hanna Watscheder angelegt, vermutlich für
die Zulassung zu ihrer Ausbildung als „Fürsorgehelferin“. Wir
machen ihn uns heute zunutze.) Und beim Durchblättern entdecke ich – schade, schade! – meine Sebastian
Reheis-Theorie stimmt nicht. Sie ist wie ein Kartenhaus in sich zusammenklappt,
zerplatzt wie eine schöne bunte Seifenblase, sie ist Makulatur. In
dem Dokument steht: Sebastian Watscheder hieß tatsächlich Sebastian
Watscheder, war auch nicht Bauer in Watschöd, sondern „Bauer beim
Poider am Kleinen Berg“ in Oberaudorf, und seine Frau hieß auch
nicht Maria Höchl, wie es in der Besitzerliste des Weindlhofes
steht, sondern Anna Gfäller. Kleiner Berg? Auf meiner sehr genauen
Wanderkarte finde ich ein Kleinberg, nicht weit entfernt von
Watschöd, aber eben nicht Watschöd, und einen Kleinen Audorfer
Berg, noch weiter weg von Watschöd. Da also, „am Kleinen Berg“,
und nicht in Watschöd, wurde Ururopa Michael geboren, am 19. Oktober
1822, und noch am selben Tag in der Pfarrkirche von Oberaudorf
getauft.
Was genau mit dem
„Kleinen Berg“ 1822 gemeint war, das müsste man in Oberaudorf
herausbekommen. Und man müsste jetzt noch einmal in die Audorfer
Chronik hineinschauen und nach diesem Poider (ein Hofname?) suchen.
Das ist eine neue Aufgabe.
Nichtsdestoweniger bleibt
es aber bei dem Namen. Irgendeiner ist mal von Watschöd nach
Oberaudorf zum „Kleinen Berg“ gezogen und hat diesen
Herkunftsnamen verpasst bekommen: Das ist der von der Hangfläche
Watschöd Gekommene – und zwar womöglich tatsächlich, wie meine Kusine Karin
Raab behauptet, vom Weindlhof mit seinen acht Wadschayder, Wädschaid,
Watschaider usw. in der Besitzerliste. So ist ja auch Oberaudorf
voller Schweinsteigers, deren inzwischen verzweigte Familien ihren
Ursprung sicher in der nicht weit von Oberaudorf entfernten Gegend
Schweinsteig haben.
14. September:
Heute ist die Audorfer
Chronik mit der Post gekommen. Ich hatte sie bei der „Tourist
Information Oberaudorf“ bestellt. Ganze 41 € kostet der Band
plus Versand. Aber es hat sich gelohnt, denn jetzt habe ich unsere
Watscheders gefunden:
Der „Poider“ heißt
eigentlich Pointner. Heute „haust“ (wirtschaftet) dort die letzte
Erbin:
Annemarie Schwarzbeck
(geb. Waller)
Eck 6, 83030 Oberaudorf
Tel.: 08033 – 48 13.
Dieser Pointnerhof war
von ca. 1650 bis zum Verkauf 1885 in Watschederschem Besitz (s. Anhang). „Pointner“
oder „Poiter“ oder „Poider“ kommt – so wie „Watschöd“
von „Watschar“ – von einer alten Bezeichnung für eine
landwirtschaftliche Einheit: „Pointe“, mhd. „biunte“, ahd.
„biunda“, „piunta“, war ein „durch Umzäunung
ausgeschiedenes Stück Land mit Wohngebäuden“.
Und ich weiß jetzt,
warum mein Ururopa Michael 1861 mit seiner Rosina von Oberaudorf
fortgezogen ist: Er hatte einen um ein Jahr älteren Bruder mit dem
Namen Sebastian. Der hat 1856 den Pointnerhof übernommen, und zwar
von der Mutter Anna Watscheder, geb. Gfäller. (Das heißt, Vater
Sebastian – Urururopa – muss da schon tot gewesen sein.)
Wir können Josef
Bernrieder für seine lokalhistorische Fleißarbeit nicht dankbar
genug sein!
Ende des Nachtrags vom
September
_______________________________
Montag,
20. Juli
Erl
Erl
– auf der Tiroler Seite des Inns – ist ein Nest. Hier gibt es
nichts. Viele moderne Einfamilienhäuser, etwas Gewerbe, eine
Badeanstalt, ein kleiner Supermarkt, in dem ich mir ein
Sandwich-Paket und eine Flasche kaltes Wasser kaufen kann. Aber
sonst? Was haben denn bloß die Winkelhofens hier getrieben außer
Zoll zu kontrollieren und sich zwischen Ausweispapieren Geldscheine
zuschieben zu lassen? Mussten sie mit der Pferdekutsche nach
Kufstein fahren, fünfzehn Kilometer entfernt, wenn sie etwas
erleben wollten? Und Rosina? Hat sie sich zu Tode gelangweilt, wenn
sie mal nicht im Haushalt und im Stall arbeiten musste, bevor sie
ihren Michael kennenlernte? Sonntags werden sie in der Kirche gewesen
sein, St. Andreas, mit ihrem barockischen Innern von 1818. Das haben
sie gekannt, damals gerade ganz neu. Aber sonst?
Dann
schaut man jedoch genauer hin und findet ein architektonisches
Wagnis, das aussieht wie eine schwarze futuristische
Raketenabschussrampe: das Festspielhaus der Tiroler Festspiele Erl
(T.F.E.), der "Schwarze Diamant", manchmal auch spöttisch "Tarnkappenbomber". Gestern die Meistersinger, vorgestern Tristan, davor das
Verdi-Requiem, auch Kammermusikalisches. Das klingt groß, erwartet
man nicht gerade hier am Nordzipfel Tirols - und tatsächlich: ein österreichisches Bayreuth, wie ich später erfahre, der mächtige Festspielleiter gern "Erl-König" genannt. Die Festspiele gibt es
aber erst seit 1997, zu spät für meine Barone und Baronessen.
Neben
diesem Gebäude-Ungeheuer steht weiß, halbrund aufsteigend,
Architektur der Fünfzigererjahre: einer Skisprungschanze nachempfunden?
Ebenfalls gewagt. Das ist das Gebäude der Tiroler Passionsspiele.
Die Tiroler Passionsspiele in Erl gibt es schon seit über vierhundert Jahren, die werden sich die Winkelhofens sicher angesehen haben. Rosina und Franz, stelle ich mir vor, haben sogar mitgemacht, als sie noch jünger waren, es war und ist Volkstheater, nicht anders als in Oberammergau. Hat Rosina ihren Michael Watscheder beim Theaterspielen kennengelernt?, fantasiere ich.
Die Tiroler Passionsspiele in Erl gibt es schon seit über vierhundert Jahren, die werden sich die Winkelhofens sicher angesehen haben. Rosina und Franz, stelle ich mir vor, haben sogar mitgemacht, als sie noch jünger waren, es war und ist Volkstheater, nicht anders als in Oberammergau. Hat Rosina ihren Michael Watscheder beim Theaterspielen kennengelernt?, fantasiere ich.
War der Baron von
Winkelhofen reich? War er ein hoher Herr in Erl? Ich glaube beides
nicht. Sicher war er angesehen als Baron, noch heute sprechen die
Schlechinger fast mit ein wenig Hochachtung von „dem Baron”.
Sicher ging es ihm auch nicht schlecht, wahrscheinlich besser als dem
Durchschnittsbauern. Aber ich glaube, dass auch der Baron in diesem
ausgeprägt ländlichen Gebiet ländlich lebte. Er bezog sein
Beamtengehalt, wird aber darüberhinaus sein Haus wie einen kleinen
Bauernhof mit Knechten und Mägden geführt haben, später auf dem
Streichen nicht anders. Ich habe den Eindruck, dass die Winkelhofens
im 19. Jahrhundert eine
verarmende Adelsfamilie waren. Auf jeden Fall scheinen sie keine
Schwierigkeiten damit gehabt zu haben, dass eine ihrer Töchter einen
Bauernsohn geheiratet hat. In Carl Oskar Renners Heimatroman „Der
Müllner-Peter von Sachrang“ ist das ganz anders: Eine Heirat
zwischen dem Müllersohn Huber Peter vom Dorf Sachrang – es hat ihn
wirklich gegeben, er lebte von 1766 bis 1843 – und der jungen
Baronesse von Lilien aus München ist dort unmöglich. Worin der
Unterschied zu unseren Winkelhofens besteht, kann ich nicht
beurteilen – wenn dieses Verhältnis überhaupt historisch ist. Ich
vermute, bestimmte Kleinadelsfamilien, vor allem die begüterten in
der herzöglichen, später königlichen Residenzstadt, hielten mehr
auf ihre hohe Herkunft als andere, die ländlicher, ärmer und näher
an dem bäuerlichen Leben waren. Wenn man sich die Fotos von Franz
von Winkelhofen anschaut, dann sieht man einen
durchaus selbstbewussten Herrn, aber auch einen ländlich derb
gekleideten Bauern. Beides scheint mir auf die Winkelhofens
zuzutreffen.
Dienstag,
21. Juli
Zum
Halbwarthof
Irgendwann
im Frühjahr 1861 rumpelte ein Pferdefuhrwerk – oder war es nur ein
Ochsenkarren? – bei Oberaudorf über die gerade neu gebauten
Eisenbahnschienen, auf denen ein oder zweimal am Tag der Zug von
München über Rosenheim und Kufstein nach Innsbruck dampfte. (Sicher
waren die Bauern schon mehrmals extra an das Gleis gepilgert, um
diese technische Sensation vorübertosen zu sehen.) Weiter ging das
Gefährt über die Innbrücke in Richtung Niederndorf. Auf dem Wagen
Hausrat, ein, zwei einfache Holzkommoden mit Kleidung, einfachem
Blechgeschirr und Besteck, außerdem bäuerliches Gerät wie Sichel,
Sensen, Rechen, Pflug und derlei. Hinter dem Karren an einen Strick
gebunden trottete eine Kuh – so stelle ich es mir vor, und so
ähnlich wird es mir hier auch berichtet: Viel mehr besaßen die
normalen Bergbauern im 19. Jahrhundert nicht.
Neben
dem Ochsen – oder dem Pferd – schritt der Bauer und führte das
Tier. Oben auf dem Karren saßen die Bäuerin, einen Säugling im
Arm, und ein kleiner Bub, der noch kaum laufen konnte. Vielleicht
war das Fuhrwerk gemietet, dann saß ein Kutscher vorn auf dem Bock.
Es waren der Bauer Watscheder Michael und seine zukünftige Frau
Rosina, die die Straße hinauf nach Niederndorf unterwegs waren.
Wie
sah es aus auf den Straßen? Viele Menschen zu Fuß, oft mit
irgendwelchen Lasten im Arm, auf den Schultern oder auf dem Kopf.
Dann Heuwagen, Holzfuhren, Pflüge, Eggen, meist mit Ochsen
oder Kühen bespannt, öfters auch mit Pinzgauern oder den
Südtiroler Haflingern, den hier üblichen
Kaltblüter-Arbeitspferden. Gelegentlich eine knarrende Postkutsche.
Die
kleine Familie war auf dem Weg zum Halbwarthof oberhalb des Walchsees
im Kaiserwinkl. Dort oben hat Michael ein kleines Häuschen mit
einer angrenzenden Wiese gekauft, ein “Gütl”, um eine neue
Existenz zu versuchen. Das war keineswegs ungwöhnlich. Die vielen
nicht erbberechtigten Hofsöhne haben immer irgendwo kleine Anwesen
gekauft, wieder verkauft, es woanders neu versucht. Einige
haben immer auch sich bemüht, als Handwerker irgendwo ein Auskommen
zu finden. Aber die meisten sind Bauern geblieben. Hier hatte die
Industrialisierung noch nicht begonnen.
Wir
wissen so genau über den Bezug des Halbwarthofs Bescheid, weil wir
das schriftlich dokumentiert haben: In den Schlechinger Archiven ist
vom Zuzug des Michael Watscheder, ehemaligen Halbwartbesitzers, aus
Oberaudorf die Rede. Und für Halbwart kennen wir eine
„Besitzstammreihe“ des Hofes. In diesem Dokument steht:
Michael
Wagscheder
Bauernsohn
zu Oberndorf bei Ebbs. Laut Kaufvertrag vom 27.VI. 1861 fol. (=folio)
340.
Als
ich die Kopie dieser Halbwart-Besitzstammreihe zum erstenmal gelesen
habe, sind mir Zweifel gekommen. Handelt sich sich um einen ganz
anderen Bauern, einen Wagscheder, der aus Oberndorf stammte? Wenig
wahrscheinlich. Das G in Wagscheder muss ein Hör- oder Schreibfehler
gewesen sein. Zu eindeutig liest man in den Schlechinger Unterlagen,
Watscheder sei vom Halbwarthof gekommen. Aber kam er in Wirklichkeit
gar nicht aus Oberaudorf? Kam er in Wirklichkeit aus Oberndorf,
einem Ort am rechten, also Tiroler Innufer, keine fünf Kilometer
südlich des Erler Zollhauses? So hätte er auch dort nahe genug am
Wohnort des Zolloberinspektors Baron von Winkelhofen gelebt, um
dessen Tochter Rosina leicht mal über den Weg zu laufen. Zudem noch
wäre er als Tiroler nicht einmal ein Grenzgänger gewesen. Glaubte
man in Schleching, und glaubt die Watscheder-Familie der Karin Raab, meiner „neuen“ Kusine, noch heute nur deshalb, er sei aus
Oberaudorf gewesen, weil es dort Watschöd gibt, das so klingt wie
der Familienname?
Nein,
die schriftlichen Hinweise in den Schlechinger Akten auf Oberaudorf
sind so zahlreich, dass man davon ausgehen muss, dass die
Halbwart-Besitzstammreihe falsch ist, besser ungenau. Der Verfasser
dieser Stammreihe mag richtig aus den Akten des Ortes Schwaigs, wo
der Kaufvertrag schriftlich niedergelegt worden ist, abgeschrieben
haben. Aber dort, in Schwaigs, wird der Fehler gemacht worden sein.
Ich stelle mir das so vor: Michael musste ins Amt, um sich zu melden
und den Kaufvertrag abzuschließen. Der Beamte, ein nur wenig
motivierter Mensch – viel wird er hier in der abgelegenen Provinz
nicht verdient haben, vielleicht war er sogar hierher strafversetzt
worden, ich kenne derartiges aus Afrika – dieser Beamte hörte den
Namen dahergenuschelt, ließ den Schreiber in der Aktenstube
„Wagscheder“ aufschreiben, und der hörte irgend etwas mit „Ober“
und „Dorf“, und am folgenden Tag erinnerte er sich nicht mehr so
genau und dachte, Oberndorf als Tiroler Ort liege durchaus nahe.
Weder der Standesbeamte noch Michael haben sich weiter darum
geschert, was der Schreiber in seiner Aktenstube da aufgeschrieben
hat – wenn Michael überhaupt lesen konnte, um die Eintragungen zu
kontrollieren. So erkläre ich mir diesen Fehler.
Ich
gehe also nach wie vor davon aus, dass die Watscheders von Oberaudorf
aus zum Halbwart gezogen sind. Der Weg, den sie genommen haben, muss
in etwa der Weg gewesen sein, den ich heute wandere, andere Wege sind
kaum möglich. Wenn sie den Weg gegangen sind, dann haben sie noch
lange den Oberaudorfer Hausberg, den Brünnstein, sehen können und
den weithin am Hang des Schildbarren sichtbaren Watschöd, bis
Niederndorf. Was damals ein für Ochsenkarren und Pferdekutschen
befahrbarer Sandweg gewesen sein wird, ist heute eine
Durchgangsstraße, die Straße von Kufstein über Niederndof nach
Kössen. Ein schöner Wanderweg ist das nicht: Einmal zerfließe ich
wieder in den schier tropischen Temperaturen. Spätestens heute ist
mir klar, dass ich bei meiner Wanderung in eine Hitzwelle geraten
bin. Schwur: Nie wieder im Sommer wandern! Zum andern gehe ich –
immerhin auf einem Radweg – entlang des endlos lärmenden
Autoverkehrs.
Aber
dann verlasse ich die Straße nach links in einen Wald hinein. Durch
diesen leicht schattigen Wald geht es etwa eine Stunde bergauf, und
ich gelange schließlich in ein weites Wiesental. Ich bin
überwältigt von der Schönheit dieser Landschaft und von der Ruhe,
die hier herrscht: Weite, weite leicht geschwungene Wiesen (Waren das
vor hundertfünfzig Jahren auch Wiesen?), weithin umgrenzt von dicht bewaldeten
sanften Bergen.
Die
Watscheders werden vor hundertfünfzig Jahren den Weg über Schwaigs genommen
haben, nördlich am heutigen Naturschutzgebiet Schwenn vorbei. Ich
wähle den südlichen Weg. Er ist ruhiger, nicht ein einziges Auto
fährt an mir vorbei. Schließlich komme ich nach Winkl, nach
Oberwinkl, und jetzt muss ich mich entscheiden: Zum Halbwarthof die
Straße hinauf? Oder über den Wiesenhang, der allerdings sehr steil
ist. Ich wähle natürlich den Wiesenhang. Und bereue schnell. Die
Hitze und das Gewicht meines Rucksacks fordern jetzt doch ihren
Tribut. Alle zehn Schritte halte ich an, keuche, stütze die Hände
auf die Knie. Die Wasserflasche ist leer. Ich komme kaum voran. Wie
zum Teufel sind denn die Watscheders mit ihrem Karren hier
hochgekommen? Gab es denn vor hundertfünfzig Jahren schon eine Straße, einen
Fahrweg? Ich sehe schon das Gebäude über mir – und brauche
Ewigkeiten. Schon auf dem bepflasterten Weg um das Haus herum, immer noch bergauf, muss ich dennoch immer wieder schwer atmend
anhalten. Dieser letzte Anstieg ist ein einziger „Tschoch“.
Endlich
oben angekommen falle ich erschöpft, halb ausgetrocknet, auf eine
Bank am Haus, klatschnass,
hart an der Grenze zum Schwindel. Die zuständige junge Bäuerin ist
nicht da, zum Glück aber die alte. („Früher habe ich hier alles
gemacht.“ Man spürt den Stolz in diesen Worten.) Sie lässt mich
ins Haus und in mein Zimmer, wo ich gut eine halbe Stunde und mehr
als einen Liter Wasser aus dem Hahn brauche, um mich wieder zu
erholen.
Heute
ist der Halbwarthof ein großes Anwesen, und das Häuslein
der Watscheders ... gibt es nicht mehr. Der alte Bauer, Mayr
Wolfgang, hat es 1989 abgerissen. Jetzt steht an der Stelle ein
Wohnhaus, in dem Hubert, der zweite Sohn des alten Wolfgang, mit
seiner Familie lebt. Im Frühstückszimmer hängt ein etwas
ungelenk gemaltes Bild von dem Haus, das in den 80erjahren ein
Feriengast gemalt hat. „200 Jahre altes Haus“ steht
darunter. Demnach muss es in den 1780erjahren gebaut worden sein,
wenn diese Angabe denn stimmt.
Geradezu
umwerfend, mit welcher Offenheit und Freundlichkeit ich empfangen
werde. Ich erfahre das alles innerhalb einer halben Stunde. Kaum ist
die Familie Mayr zusammen – die junge Bäuerin Gertraud, im achten
Monat schwanger, am 7. September wird eine Annalena zur Welt kommen,
ein kleiner zweijähriger Martin läuft schon herum, der junge Bauer
Werner, der jüngste Sohn, der den Hof seit zwei Jahren betreibt,
höchsten dreißig Jahre alt, und der alte Wolfgang – kaum also ist die
Familie zusammen, kaum habe ich mich vorgestellt und spreche mein
familienhistorisches Interesse an, da öffnen sie sich, beantworten
mir jede Frage, der junge Werner holt sofort, ich habe ihn gar nicht
darum gebeten, die „Besitzstammreihe“ hervor, die ich schon
von unserer neu entdeckten Watscheder-Kusine kenne, mit den
Schreibfehlern „Wagscheder“ und „Oberndorf bei Ebbs“. Und
gleich erzählt mir der alte Bauer, Wolfgang, seine
Familiengeschichte. Ich weiß mehr, als ich hier aufschreiben kann.
Nur soviel: Er wurde auf Halbwart geboren, 1939. („Darf ich fragen,
wie alt du bist?“, will er von mir wissen. „Sechsundsechzig.“ „Ich bin
genau zehn Jahre älter.“) Als Kind hat er mit seiner Mutter 1955
den Hof verlassen, der dann sechs Jahre lang leer stand. Dann, 1961,
hat er Halbwart übernommen und komplett neu aufgebaut. Erstaunliche
Leistung, wenn man das recht stattliche Grundstück sieht mit dem
Haupthaus, dem Altenteil („Ausgedingehaus“) und dem Wohnhaus des
zweiten Sohnes Hubert – und mit all den Maschinen.
„Wie
konnten vor hundertfünfzig Jahren hier Bauern überleben?“, frage ich ihn.
„Schwer“, sagt er. „Die Bergbauern haben damals nur fürs
Überleben gearbeitet, hart gearbeitet, von morgens bis abends, ohne
Sonntag, ohne Ferien.“ „Und der alte Hof der Watscheders? Die
haben ihn ja schon nach fünfzehn Jahren wieder verkauft. Warum?“
„Der alte Hof, damals nur ein Gütl, ist viel verkauft worden. Er
war zu klein, zu hoch oben, die Wiesenschrägen zu steil. Er gab zu
wenig her.“ Der Hof war nur eine kleines „Gütl“, sein Grund
umfasste nur wenige „Tagwerk“ Land – 1 Tagwerk sind etwa 60 x
60 m. „Hatten sie damals hier schon eine Straße?“ „Nein, die
gab es nicht, nicht einmal einen ordentlichen Fahrweg. Sie mussten
ihre Lasten mit dem Pferdeschlitten hinauf- und hinunterfahren.“
„Schlitten? Auch im Sommer?“ „Auch im Sommer.“
Ich
stelle mir vor, wie Michael mit seiner kleinen Familie im Juni 1861
den Pferde- oder Ochsenkarren hier hochgewuchtet haben muss. Wenn es
ein gemietetes Fuhrwerk war, hat der Kutscher bestimmt geflucht und
sich beschwert, dass er mit einer solchen Steigung nicht gerechnet
habe, das sei nicht ausgemacht gewesen, und hat so auf den Mietpreis
noch etwas draufgeschlagen.
Heute
führt eine schmale, aber für Autos bequeme Teerstraße hier herauf.
„Wann ist die gebaut worden?“, frage ich Wolfgang. „In den
1970ern. Die haben wir bezahlen müssen. Drei Höfe liegen an ihr.
Jeder musste ein Viertel bezahlen, und ein Viertel die Gemeinde. Und
die restlichen fünfzig Prozent der Bund.“ Er meint wohl, jeder
musste ein Achtel bezahlen. „Wie schafft ihr die Arbeit heute?“
„Die Maschinen“, sagt er. „Und es gehört
viel mehr Land zum Hof.“
Es
sind heute keine Vollbauern mehr. Wolfgang hat als Metzger gearbeitet. Der junge
Bauer Werner ist als Tischler tätig. Morgens geht er in den Stall,
danach mit dem Auto ab zur Arbeit. Und die junge Gertraud hat vor den
Kindern in Kufstein eine Anstellung gehabt. (Kufstein, zwei
Tagestouren entfernt! Mit dem Auto zwanzig Minuten.)
Michael
und Rosina haben hier im Mai 1862 geheiratet und so die beiden Söhne
Johann und Joseph nachträglich „legitimiert“. Erst sechs Jahre
später, am 15. Februar 1868, kam als Nachzügler hier auf dem
Halbwarthof der dritte Sohn zur Welt: der Nachzügler, wieder ein Michael, mein Uropa.
Haben
Michael und Rosina und die drei Buben vor hundertfünfzig Jahren die Landschaft
genossen? Den Blick auf den Hausberg (er heißt so) mit der Harauer
Spitze haben sie gekannt, auch die atemberaubend schöne
Aussicht hinunter auf die weiten Wiesen der Ebene bei Schwaigs, durch
die ich gekommen bin. Aber haben sie das auch als schön
empfunden? Der alte Wolfgang sagt: „Ja, es ist schön hier. Ihr
Feriengäste genießt das. Aber wir arbeiten hier. Wir sehen das
nicht.“ War also die fichtenbestandene Felswand des Hausbergs für
die Bauern, die hier ums Überleben schuften mussten, nur die
gewohnte Umgebung, wie die Wand im Stall? Wenn das Wirtschaften
erfolgreich gewesen wäre, wäre dann auch die landschaftliche
Umgebung schön gewesen?
Das
Wirtschaften auf dem zu kleinen, zu steilen, zu kargen
Halbwart-„Gütl“ war nicht erfolgreich. Michael musste das
Anwesen nach nur fünfzehn Jahren wieder aufgeben. Das war 1876, er
war inzwischen verundfünfzig Jahre alt, Rosina fünfzig, Johann sechzehn, Joseph fünfzehn, und der
Nachzügler Michael auch schon acht. Dieser kleine Michael, mein Uropa,
hat er den Hof, auf dem er die ersten Lebensjahre verbracht hatte,
mit Wehmut verlassen? Oder war er froh, die engen, kärglichen
Verhältnisse loszuwerden? War er gespannt auf ein neues, besseres
Leben? Oder war es ihm egal, und er zog eben einfach um?
Ich
will, ich muss morgen weiter, auf dem Weg der Watscheders nach
Schleching im Chiemgau. Ich frage die junge Bäuerin, Gertraud, ob
ich mir statt des Frühstücks morgen jetzt am Abend etwas Brot als
Wegzehrung machen könne, ich wolle sehr früh los, um nicht wieder
in die Mittagshitze zu geraten. „Wie früh?“, fragt sie. „So um
halb sechs.“ „Also Frühstück um fünf?“ Ich zögere, und sie
sagt lachend: „Ohne Frühstück lassen wir unsere Gäste nicht aus
dem Haus.“ Die Brote kann ich mir morgen außerdem schmieren, und
jetzt gibt es noch eine Abendjause. Das Brot hat sie
selbstverständlich selber gebacken. Und am nächsten Morgen wird sie
extra für mich eine Stunde früher aufstehen. (Das alles kostet mich
mit der Übernachtung ganze 22 €.)
Nach der Abendjause
genieße ich einen milden Abend auf dem
Balkon mit einem weiten Blick ins Wiesental.
Mittwoch,
22. Juli
Nach
Schleching
1876:
Wieder musste die Kleingütler-Familie Watscheder alle Habseligkeiten
zusammenpacken und losziehen. Michael hatte einen Hof im bayerischen
Schleching im Chiemgau gefunden. Der schien vielversprechender zu
sein. Er blieb dann zwar auch nicht lange in Watschederschem Besitz,
aber immerhin fünfunddreißig Jahre bis 1911.
Über
welche finanziellen Mittel die Familie verfügte, wissen wir nicht.
Aus eigener Wirtschaft scheint nicht viel vorhanden gewesen zu sein.
Aber es könnte ja sein, dass Sebastian in Oberaudorf seinem Bruder
ein bisschen unter die Arme gegriffen hat, wenn er denn etwas mehr
besaß. (Der Vater scheint ja schon vor 1856 gestorben zu sein.) Oder
hat Rosinas Bruder/Vetter Franz ausgeholfen? Der war immerhin ein
beamteter Baron und scheint Rosina wohlgesinnt gewesen zu sein;
zumindest hat es ihm später nichts ausgemacht, in ihrer Nähe ein
Gut zu kaufen.
Es
gibt nur einen Weg, den die Watscheders gegangen oder gefahren sein
können, den einzigartig schönen, heute bequemen Wanderweg am
Hausberg entlang, vorbei an der Riederalm, über den Harausattel –
von dort einen letzten Abschiedsblick auf den Brünnstein, ferner
Gruß aus Oberaudorf –, durch die Edernalm, auf welcher Kuhherden
mich mit ihrem Glockengeläut begleiten, hinunter nach Staffen. Ich
gehe nur bis Staffen, weil ich von dort über den „Schmugglerweg“
hoch über der Tiroler Ache nach Schleching will. Die Watscheders
werden bis Kössen gefahren sein und von dort den Fahrweg über den
Klobensteiner Pass in den Chiemgau genommen haben. Haben sie in
Kössen übernachtet?
Der
„Schmugglerweg“, eine touristische Attraktion. Alle kennen ihn,
die Halbwarter wie die Schlechinger. Es ist ein uriger Wanderweg von
Tirol nach Bayern, über Baumwurzeln und Felsbrocken, bisweilen auch
steil hinauf und hinab, meist schön schattig unter hohen Bäumen,
und rechts tief unten rauscht die Tiroler Ache.
Dieser
reißende Gebirgsfluss hat sich hier seit der letzten Eiszeit tief in
eine Klamm hineingeschnitten, die schmalste Stelle, schon auf der
bayerischen Seite, heißt Entenloch. Ursprünglich war die Klamm
(wir Norddeutsche würden „Schlucht“ sagen) enger als heute. Aber
bei Hochwasser hatte sich der Fluss oft so weit gestaut, dass die
Klamm an der engsten Stelle durch Sprengungen erweitert werden
musste. Selbst Kössen, über zwei Kilometer flussaufwärts, war
regelmäßig überflutet worden, wie zum Beispiel 1899, so lese ich
auf einem Informationsschild. Das muss Dorfgespräch auch in
Schleching gewesen sein, die Urgroßeltern Michael (der „Nachzügler“)
und seine Frau Maria müssen darüber gesprochen haben, zumal Maria
aus Kössen stammte – sie war eine Tochter des Kössener
Schuhmachers Franz Wurnig. Vielleicht hat sogar mein Opa, damals
ein vierjähriger Bub, mit Schrecken von der Flutkatastrophe in dem
Dorf seines Großvaters etwas mitbekommen.
Die
Sprengungen haben leider nicht viel gebracht. Immer wieder liest und
hört man nach wie vor von schlimmen Fluten, zuletzt vor drei Jahren,
als die Ache Kössen nach sintflutartigen Regenfällen wieder einmal
unter Wasser gesetzt hat. Selbst die hohe Hängebrücke am
Klobenstein, gut zwanzig Meter über dem Fluss, ist dabei
beschädigt worden.
Auch
aus einem anderen Grund ist die Tiroler Ache interessant: Man fragt
sich, warum Tiroler, warum nicht einfach nur Ache? Und ich erfahre,
dass es in den Alpen noch andere Achen gibt. Aber auch erfahre ich,
dass der Fluss in seinem Verlauf mehrmals seinen Namen ändert: Bei
Kitzbühel heißt er (auch) Kitzbüheler Ache, bei Kössen (auch)
Kössener Ache – ich gehe also auf dem Schmugglerweg entlang der
Kössener Ache – dann in Bayern heißt er (auch) die Tiroler Achen
(mit n), bairischer Dialekt, und insgesamt wird er auch Großache
genannt. Ich habe allerdings immer nur Tiroler Ache gelesen und
gehört, und selbst im bayerischen Schleching sagen die Leute
Tiroler Ache, oder einfach nur Ache.
Auf
dem Schmugglerweg nach Schleching erwarte ich eigentlich, dass die
Ache unten in der Klamm gegen meine Gehrichtung fließt, von Bayern
nach Tirol, um irgendwann in den Inn zu münden. Stimmt nicht. Kössen
oberhalb der Klamm wird ständig überflutet, nicht Schleching
unterhalb der Klamm. Die Ache fließt in meiner Richtung von Tirol
nach Bayern, aus den Alpen hinaus und mündet im Norden in den
Chiemsee.
Der
„Schmugglerweg“ hieß 1876 bestimmt noch nicht so. Möglicherweise
war er aber noch einer, nämlich für den Schmuggel zwischen
Österreich-Ungarn und dem Königreich Bayern, damals bereits Teil
des neuen Deutschen Reichs unter Bismarck. Heute ist er ein
Urlaubermagnet, viele Wanderer, oft Eltern mit Kindern, begegnen mir
und rufen mir ein „Grüß Gott“ zu mit deutlich westfälischem
oder sächsischem Klang. Die Schlechinger Touristik-Information
versucht derzeit den Weg neu zu bewerben, um noch mehr Feriengäste
anzulocken. Dafür sucht sie über ein Infoblatt (Titel: „Schleching
– das Dorf der Zukunft“) „ein Logo für den Schmugglerweg / das
Schmugglerdorf: egal ob modern, kindlich naiv, verspielt,
puristisch, altmodisch ...“ und fordert Schlechinger wie Gäste
auf, ein solches Logo zu entwickeln. „Der Gewinner erhält ein
Brotzeit-Brettl mit Brotzeit.“
Wenn
Rosina damals über den Schmugglerweg gegangen ist in das
„Schmugglerdorf“ Schleching, dann wird sie sich als Verwandte
eines Zollaufsehers so ihre Gedanken gemacht haben. War sie
amüsiert, wie ich jetzt? Oder haben die Watscheders gar die
Gelegenheit ihres Umzugs wahrgenommen, um ebenfalls zu schmuggeln,
welche Waren auch immer? Von meinem Schlechinger Pensionswirt höre
ich später mit Staunen, und lachend sagt er das, dass auch die
Winkelhofens auf dem Streichen kräftig geschmuggelt hätten, eben
über diesen Weg hoch über der Achenklamm.
Aber
ziemlich sicher haben die Watscheders mit ihrem Pferde- oder
Ochsenfuhrwerk gar nicht diesen unbefahrbaren Waldweg genommen,
sondern den Weg unten am anderen Ufer den Fluss entlang über den
Klobensteiner Pass. Heute verläuft dort die Straße von Kössen über
Schleching nach Unterwössen, auf bayerischer Seite die B 307. So
wird auch 1876 dort ein Fahrweg gewesen sein. Später wird mir das
bestätigt. Der Buchberg war ihr Ziel, gleich hinter Schleching, kurz
vor Mettenham. Oben auf diesem Hügel hat Michael einen neuen Hof
gekauft, den Buchberghof.
*
* * * *
Schleching
liege landschaftlich reizvoll am Fuß von Kampenwand und Geigelstein
– auf dessen Gipfel man bei günstiger Witterung die Heldenorgel
von Kufstein hören kann – in einem „wiesengrünen“ Talkessel,
lese ich in einem Informationsheft über die Schlechinger Kirche.
„Wiesengrün“ ist ein schöner Ausdruck für das weite, flache,
von Wiesen durchzogene Achental, eine liebliche Landschaft, kaum noch
alpin. Es gibt kein Hochgebirge mehr – der Wilde Kaiser ragt nur
fern im Süden hervor –, sondern sanft geschwungene, bisweilen
felsige Berge, Mittelgebirge, der Geigelstein ist gerade mal 1.808 m
hoch. Das sind die Ausläufer der Alpen, man sieht ihr Ende im
Norden, wohin die Ache zum Chiemsee im Alpenvorland fließt.
Schleching
ist ein kleines Dorf, ein Nest mit 1.758 Einwohnern, davon ca. fünfhundert
Bewohner mit Zweitwohnsitz, Feriengäste aus ganz Deutschland –
sogar von Sylt. Diese Einwohnerzahlen schließen aber alle
Eingemeindungen ein, Wagrain, Ettenhausen, Mettenham usw. Das
eigentliche Dorf dürfte kaum mehr als fünfhundert Menschen mit Erstwohnsitz
beherbergen. Es gibt hier einen Dorfladen (Edeka), eine
Raiffeisen-Bank, einen Metzger, einen Bäcker, einen Friseur. Auf
einem Schild des SC Schleching lese ich mit Kreide geschrieben:
„Nächstes Heimspiel: Berchtesgaden“. Viel mehr gibt es nicht.
Aber für die Urlauber: zwei große Gasthöfe – den „Geigelstein“
und das „Gasthaus zur Post“; zwei Sportgeschäfte: Wanderschuhe,
Ski, Rafting-Equipment für das „Entenloch“ in der Achenklamm,
Kletterausrüstung für die Zwillingswand an der Hochplatte; im Touristik-Informationszentrum („Bürgerhaus“) steht
während der Öffnungszeiten ein Computer frei zur Verfügung mit
kostenlosem Internetzugang; und in nahezu jedem zweiten Haus kann
man Fremdenzimmer mieten.
Hier
in diesem Schleching wurde mein Opa Michael Watscheder am 22.
November 1895 geboren, Sohn des „Nachzüglers“ Michael, der 1876
beim Einzug in Schleching acht Jahre alt gewesen war. So hätte aus
meinem Opa ein Bayer werden müssen, wenn nicht etwas sehr Unschönes
passiert wäre, eine familiäre Katastrophe.
*
* * * *
Ich
sitze im „Gasthaus zur Post“ und trinke, nach sechs Stunden
Marsch vom Halbwart in mittäglicher Gluthitze angekommen, erst
einmal zwei eiskalte Johannisbeerschorlen. Wieder bei Kräften sehe
ich auf meinem Zettel nach, wo die Pension ist, in der ich schon von
Hamburg aus telefonisch ein Zimmer bestellt habe. Ich frage die
Kellnerin, ob sie mir sagen könne, wo der Landerhausener Weg sei.
Sie dreht sich um und gibt die Frage ins Lokal weiter: „Wisst ihr,
wo der Landerhausener Weg ist?“ Zwei Männer sitzen beim Bier an
einem Tisch, ein sehr alter mit schütterem Vollbart, der andere
jung, und ein Ehepaar hat sich gerade ein Essen bestellt, offenbar
ebenfalls Einheimische – es ist noch zu früh für ein Mittagessen
für Feriengäste. Alle überlegen, diskutieren: Welche Straße
könnte der Landerhausener Weg sein? Eine der Straßen nach
Landerhausen. Aber welche? Der Alte mit dem schütteren Vollbart
wendet sich an mich: „Zu wem möchten Sie denn?“ „Daxer.“
Sofort geht durch den ganzen Raum ein einhelliges Kopfnicken.
„Achso“, sagt der Alte, „da gehen Sie die Straße hinunter,
gleich dort hinter dem Laden rechts, das zweite Haus links, keine
drei Minuten, da wohnt der Daxer.“ Straßennamen!
Meine
Pensionswirte, Herr und Frau Daxer, sind rührend nette Leute. Sie
freuen sich über mein Interesse an den Schlechinger Ahnen. Während
ich noch in der Dusche den Wanderschweiß abspüle, ruft Herr Daxer
aus eigenem Antrieb die Aigners vom ehemaligen Sägewerk Aigner an,
fragt dort nach und kündigt meinen Besuch an. Ich hatte ihm gerade
erzählt, dass der Watschedersche Bauernhof auf dem Buchberg 1917,
wie ich noch fälschlich denke, an eben diese Sägerei Aigner
verkauft worden sei. Auch sonst sind die Daxers personifizierte
Hilfe: Ich darf Wäsche waschen – und bekomme sie gebügelt zurück,
selbst die Unterhosen und Socken („Ich bin nur einmal mit dem
Bügeleisen darübergefahren“, sagt sie); ich erhalte
Schreibmaterial, da mir meines ausgegangen ist; jeder Weg, jeder Berg
wird mir minutiös beschrieben; ich werde mit dem Auto zum zwei
Kilometer entfernten Ettenhausen gefahren, wo ich den
„Heimatpfleger“ besuche; ich darf an ihr Festnetz-Telefon, da
mein Handy in Schleching in einem totalen Funkloch steckt – O2!
Sie
ist aus Oberwössen jenseits des nahen Hügelkammes hinter der Ache.
Er ist Schlechinger, in dem mütterlichen „Knoglerhof“ gleich
bei der Kirche geboren, Schreiner in Rente. Der Heimatpfleger Hartmut
Rihl kennt ihn natürlich: „Der ist nur wenig älter als ich“ –
also etwa Ende siebzig – „mit dem bin ich Ski gefahren, damals
noch ohne Lift, mit dem hab ich Theater gespielt.“
Die
Pension – Landerhausener Weg 7, 20 € die Nacht incl. (wie überall
mäßiges) Frühstück – ist ein einfaches größeres, sauberes
Haus, Obergeschoss wie hier üblich aus Holz. Es steht am östlichen
Rand des Dorfes, man sieht in der Ferne über eine der weiten Wiesen
den Achendamm. Das Zimmer ist klein, ich kann mich aber im Haus frei
bewegen, darf sogar im zur Zeit unbewohnten, etwas kühleren
Doppelzimmer nebenan sitzen, wo der Blick auch schöner ist. Das
Frühstückszimmer – wo ich die trockenen aufgebackenen
Krümelsemmel mümmeln muss, aber der Kaffee ist heiß, und das Ei
ist wirklich weich – dies Frühstückszimmer hat die übliche
Einrichtung: Teppichboden, ein Kruzifix, eine Maria, Gemälde von
Gebirgstälern, Blumen, röhrenden Hirschen an den Wänden, ein
Kachelofen, „schöne“ Teller aufrecht auf einem Bord, und so
fort. Bayerische und österreichische Fremdenzimmer-Gemütlichkeit.
Aber ich fühle mich wohl, vor allem, weil die beiden Daxers so
ausgesprochen herzliche Menschen sind.
Donnerstag,
23. Juli
Schleching
– Buchberg (1) – Streichen
Die Kirche von Schleching
ist sehr bayerisch, weiß-gelb, Zwiebelturm, sauber, renoviert (1983
– 1987), hübsch außen wie innen, frühes Rokoko, wie ich lese, in
den 1730erjahren erbaut. Die Watscheders haben sie gekannt. Sind sie
regelmäßig in die Messe gegangen? Zur Beichte? Vom Buchberg war das
ein Weg von einer knappen halben Stunde.
Der Buchberg ist eine
dicht bewaldete Erhebung in den weiten Wiesen am nördlichen Ende des
Schlechinger Achentals. Dort oben hat es nur diesen einen
Hof gegeben. Wann der älteste Sohn meines Ururgroßvaters Michael,
der Erbe Johann, der 1860 noch in Oberaudorf geboren worden war, den
Buchberghof übernommen hat, wissen wir nicht. Leider wissen wir
auch nicht, wann der alte Michael gestorben ist. Rosinas Todesjahr
kennen wir: 1902. Der Hof wurde 1911 an die Sägerei Aigner verkauft.
Johann wohnte danach in einem Haus unten in Mettenham und starb 1934
in Oberwössen.
Ich gehe keuchend den
Waldweg zum Buchberg hinauf. Aufdringliche Pferdebremsen umsummen
meine Ohren, immer wieder muss ich um mich schlagen. Verdammte
Biester! Die Watscheders haben ihre Höfe immer auf Bergen oder an
Hängen gehabt. Möglicherweise waren die erschwinglicher, weil sie
weniger einbrachten oder schwerer zu bearbeiten waren. In der Tasche
habe ich wieder ein Foto von meiner „neuen”
Kusine Karin Raab: Die Frontseite des Buchberghauses.
Werde ich dieses Haus finden? Steht es noch?
Ich gelange auf eine
Lichtung an einem Hang, alles verwildert und von Unkraut überwuchert.
Ein Weg führt durch hohes, trockengelbes Gras. Überall wild
wachsendes Gestrüpp. Hier könnte mal ein Bauernhaus gestanden
haben. Dann entdecke ich in einer kleinen Senke einen
funkelnagelneuen Carport – ohne ein Auto darin –, einen bis in
die Ecken hinein gepflegten Garten, Rasen vorbildlich gemäht,
Obstbäume, Kinderspielzeug, ein Trampolin. Das alles gehört zu
einem wunderschönen, sehr großzügigen Wohnhaus aus dunklem Holz. Ganz isoliert
steht es in dieser verwilderten Umgebung. Ich nähere mich dem Haus,
würde gern Kontakt aufnehmen, ohne mir klar zu sein, was ich
eigentlich fragen soll. Wissen tun die hier sicher nichts. Kein Auto
im Carport, es wird wohl kein Mensch da sein, und tatsächlich, es
meldet sich auch niemand auf mein Klopfen und "Hallo”-Rufen.
Genau an dieser Stelle
habe das alte Bauernhaus gestanden, so erzählt mir hinterher eine
Frau Aigner unten in Mettenham. Sie weiß aber nicht, wann das
Sägewerk den Buchberghof gekauft hat. „1917?”,
frage ich, weil ich das richtige Datum 1911 noch nicht kenne. „Kann
schon sein. Das Haus hat aber meine Großmutter schon lange
verkauft.“ „Wie lange?“ „Das weiß ich nicht. Schon sehr
lange. Die neuen Besitzer haben das Haus umgebaut, später
weiterverkauft. Die jetzigen Besitzer haben es wieder umgebaut. Die
kennen wir nicht.“
Die Sägerei Aigner ist
bankrott, verfallene Holzlagerhallen zeugen davon. Es gibt aber in
der Nähe eine Firma „Aigner Haustechnik“, eine Autohandlung
„Aigner“ und eine riesige Zimmerei „Bachmann“. Immerhin, so
ganz spurlos sind Name und Holzverarbeitung nicht verschwunden.
Verschwunden ist aber der
Bauernhof auf dem Buchberg. Und verschwunden aus Schleching ist der
Name Watscheder. Kein Mensch kennt hier den Namen. Vielleicht wäre
er ohnehin verloren gegangen, auch wenn die Watscheders den Hof bis
heute behalten hätten. Jeder kannte die Bauern vom Buchberg nur als
„die Buchberger“. Vielleicht hätten sie den Vulgonamen
übernommen. Von dem alten Johann Watscheder, dem Buchbergerben,
existiert ein Foto, auf dessen Rückseite zu lesen ist: „das
Buachei“.
Buachei? Was soll das heißen? Mein Pensionswirt Daxer weiß es sofort: „-ei“ ist eine bairische Verkleinerungsendung wie in Resei (= Thereslein) oder Marei (= Mariechen). Und „Buach“ ist die bairisch-diphthongierte Kurzform von „Buchberg“, „Buch“. „Das Buachei“ heißt also soviel wie „das Buchbergerlein“. Gäbe es heute noch die Nachfolger des alten Michael, meines Ururgroßvaters, der den Hof damals gekauft hat, dann hießen sie möglicherweise Buchberger.
Buachei? Was soll das heißen? Mein Pensionswirt Daxer weiß es sofort: „-ei“ ist eine bairische Verkleinerungsendung wie in Resei (= Thereslein) oder Marei (= Mariechen). Und „Buach“ ist die bairisch-diphthongierte Kurzform von „Buchberg“, „Buch“. „Das Buachei“ heißt also soviel wie „das Buchbergerlein“. Gäbe es heute noch die Nachfolger des alten Michael, meines Ururgroßvaters, der den Hof damals gekauft hat, dann hießen sie möglicherweise Buchberger.
* * * * *
Der Streichen ist ein
Vorberg in der niedrigen Bergkette auf der anderen Seite der Tiroler
Ache, etwa eine Stunde zu Fuß von Schleching. Heute ist dort oben
ein Berggasthof, ein beliebtes
Ausflugsziel vor allem wegen des Panoramablicks auf das Achental. Es gibt auch mehrere Wanderwege, die über den Streichen
laufen, unter anderem den „Samerweg“ zum Klobenstein, einen
früheren Saumpfad, auf dem Packtiere Lasten („Säume“) von
Südtirol nach Bayern getragen haben, meist Pferde. Die Führer
dieser Packpferde hießen Säumer oder Samer. Daher der heutige Name
des Wanderwegs. Ich werde ihn nach meinem Besuch des Streichens heute
Nachmittag gehen.
Oberhalb des Gasthofs
steht eine weithin im Tal sichtbare Kapelle, die Streichenkirche.
Außen ein schlichter Bau, innen ein kleines Juwel: eine
romanische Saalkirche mit einer flachen Holzdecke, vor dem Chorraum
ein gotischer Steinlettner mit Fresken aus dem 15. Jahrhundert. Auch
der Chorraum wie das Retabel gotisch, wunderschön. Die Kapelle muss
im 12. Jahrhundert gebaut worden sein zusammen mit einer Burg, die
aber heute bis auf einige überwachsene Mauerreste verschwunden ist.
Das dazu gehörende Mesnerhaus etwas unterhalb ist aus dem 15.
Jahrhundert, wurde später ein Gutshof und ist eben heute zu dem
Gasthaus geworden.
Diesen Gutshof auf dem
Streichen hat im Jahre 1883 der damals gerade pensionierte k.u.k.
Zolloberinspektor von Erl, Franz Baron von Winkelhofen, gekauft. Man fragt sich: Warum hat er das getan? Es ist
sicherlich ein schönes Fleckchen Erde, dieser Streichen. Aber seine
Familie war aus Südtirol. Warum ist er nicht dahin zurückgegangen?
Hatte er dort keine Familienanbindung, keinen Besitz mehr? (Die
„Karlsburg“, hatte er sie überhaupt je besessen?)
Seine um ein Jahr jüngere
Schwester/Base Rosina, ich habe es bereits erwähnt, war zu dem
Zeitpunkt Bäuerin auf dem Buchberg, schräg gegenüber auf der
anderen Seite der Ache. Zufall? Man kann sich vorstellen, dass Franz
seiner Verwandten hinterhergezogen ist, weil sie sich gut verstanden
haben und er seinen Lebensabend in ihrer Nähe verbringen wollte.
Oder hat er dies schöne Anwesen doch nur zufällig in Rosinas Nähe
gefunden? Vielleicht hat er ja von ihr den Hinweis bekommen, dass ein
geeignetes Gut bei Schleching zum Verkauf stehe. Wie dem auch sei,
sie kannten sich, und das heißt, dass Rosina bestimmt immer mal
wieder auf dem Streichengut verbracht hat, sicher auch mit ihren
Kindern, also auch mit dem kleinen „Nachzügler“ Michael, meinem
Uropa.
Wenn man heute in
Schleching vom alten Baron von Winkelhofen spricht, dann meint man
nicht Franz, dann meint man dessen Sohn Dominicus (1865 - 1949), den
Streichenerben. Der hat auf dem Gut als Bauer und als
Zimmermann gelebt, stellte Spanschachteln her und bemalte sie,
gelegentlich hat er Fremde durch die Streichenkirche geführt. Seine
Führungen sollen nicht sehr förmlich gewesen sein, da hieß es
nicht: „Hier sehen Sie romanische Rundbögen“ oder: „Beachten
Sie dort das gotische Retabel“, sondern er erklärte lieber den
Klang der oben im Dachreiter hängenden Glocken, und zwar so: „De
Glockn is vafluacht hoach obn, hat an vaduifet scheen Klang und is
sakrisch hoach gweicht (= geweiht).“ Er ist 1949 ohne Nachkommen
verarmt gestorben. Sein Grabkreuz steht auf dem Schlechinger
Friedhof, das vierte Kreuz an der linken Mauer. Darauf
steht dies geschrieben:
Hier ruhen
Baron Freiherr von
Winkelhofen
ehem. Besitzer von
Streichen
geb. 4. 8. 1865 gest.
10. 8. 1949
Baronesse Maria von
Winkelhofen
geb. 6. 7. 1883 gest.
4. 5. 1970
Anna Strohmayer
ehem. Streichenwirtin
geb. 20. 4. 1915 gest.
23. 2. 1996
Franz Strohmayer
ehem. Streichenwirt
geb. 11. 7. 1912 gest.
15. 4. 2010
Wer ist die Baronesse
Maria von Winkelhofen? Und warum ist das Ehepaar Strohmayer auf
demselben Grabkreuz? Und vor allem: Wo ist Franz von Winkelhofens
Grabkreuz?
Maria ist keine Tochter des
Dominicus, sondern eine Nichte. Eine von Dominicus' Schwestern,
Thecla, also eine Tochter des alten Franz, hat eines Tages im Jahr
1883 – der alte Baron hatte das Gut gerade erworben – einen
Bankert bei ihrem Vater und ihrem Bruder auf dem Streichen
abgeliefert und ist verschwunden. In der Schlechinger Pfarrmatrikel
heißt es: „Ista Thecla genuit ex soluto Josepho Pfaffinger de
Oberaudorf Mariam 6. Juli 1883“, das heißt: „Die benannte Thecla
erzeugte mit (eigentlich: aus) dem unehelichen Joseph Pfaffinger aus
Oberaudorf die Maria am 6. Juli 1883.“ So wuchs die kleine Maria
auf dem Streichen unter ihrem Großvater Franz auf. Sie wurde das
„Dechei“ genannt. Dechei? Das war ein Scherzname: „Dech“ ist
bairische Mundart und heißt „Ziege“. „Dechei“ ist also das
„Zieglein“. Und das war die scherzhafte Bezeichnung für
Tiroler. Das „Dechei“ war also die Tirolerin. So erzählt es mir
später Hartmut Rihl.
Es gibt ein bayerisches
„Gstanzl“ über die Tiroler. Das geht so:
Tiroler Dech, Dech,
Hebt's Schwanzei a d'
Hech. (= in die Höh)
Wann's Schwanzei net
war,
War's Dechei net rar. (=
wäre das Zieglein nicht besonders)
Übertragen heißt das
soviel wie: Die Tiroler taugen nichts, und wenn, dann nur wegen ihrer
Schwänzchen. Offenbar war das nicht weiter böse gemeint, ebenso
wenig wie die Tiroler Bezeichnung der Bayern als „Boarfacken“ =
„Bayernschweine“, was auf Hochdeutsch allerdings sehr grob
klingt.
Maria, das Dechei, also
die Tirolerin. Warum nur sie so genannt wurde und nicht alle
Winkelhofens, das vermag ich nicht zu sagen. Oder war mit dem
„Dechei“ doch nicht die Tirolerin gemeint, sondern einfach nur
das Zieglein?
Was machen jetzt Anna und
Franz Strohmayer auf dem Grabkreuz der Winkelhofens? Sie waren
Streichenwirte, sie waren praktisch die Nachfolger des Dominicus.
Geerbt haben sie das Streichengut nicht. Meine Pensionswirte sagen,
sie hätten das Gut geschenkt bekommen. Hartmut Rihl, der
Heimatpfleger von Schleching, erzählt es mir genauer. Die
Geschichte der Übernahme geht so – und Achtung! Indirekt spielt
eine Watschedersche dabei eine Rolle:
Eines schönen Tages im
Sommer 1919, ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, tauchte
beim inzwischen 54-jährigen Baron Dominicus von Winkelhofen –
Vater Franz war seit acht Jahren tot – Rosina auf. Natürlich nicht
die Schwester/Base des alten Franz, die war 1902 gestorben. Sondern
deren Enkelin, Tochter des „Buachei“ Johann Watscheder, eines
Vetters also von Dominicus. Diese Rosina – sie hieß Rosina
Watscheder, war aber bekannt als die Buchbergertochter – hatte auch
so einen Bankert auf dem Arm, was übrigens keine Besonderheit ist:
In den Stammbäumen wimmelt es nur so von „illegitimen“ Kindern.
Die wurden von den oft mittellosen Müttern gern bei Verwandten
untergebracht, die in der Lage waren, die Kleinen zu ernähren und
großzuziehen. Rosina hatte sich dieses Kind, ein Mädchen, bei einem
serbischen Gefangenen angelacht, lieferte es bei ihrem Onkel zweiten
Grades ab und machte sich wieder aus dem Staub. Auf dem Hof sollte es
dem Kind gut gehen, ganz wie wir das schon vom Dechei kennen.
Dominicus nannte die Kleine auch wieder Rosina (also Urenkelin der
Halbwart- und Buchbergbäuerin Rosina), und sie wuchs als das „Rosl“
auf dem Streichen auf. Ihr Name war Rosina Watscheder (1919 - 2006),
als uneheliches Kind trug sie den Familiennamen ihrer Mutter. Später
war sie ausersehen, das Gut zu erben. (Warum eigentlich nicht das
Dechei?)
Auf dem Streichenhof
arbeitete als Knecht ein gewisser Strohmayer Franz, wahrscheinlich
treu und tüchtig. Er sollte einmal das Rosl heiraten und den
Streichen zusammen mit ihm, dem Rosl, übernehmen. Darauf lief es jahrelang
hinaus – bis eines Tages das Rosl den Streichen verließ und
jemand anderen heiratete. Da war nun nur noch der Strohmayer Franz,
sonst gab es niemanden, der den Hof von dem inzwischen alten
Dominicus hätte übernehmen können. Nochmal: Warum nicht das
Dechei, immerhin eine Baronesse von Winkelhofen? Eine klare Antwort
habe ich nicht bekommen, nur vage Andeutungen: zu alt, zu schwach,
war immer als Magd ausgenutzt worden.
Der Strohmayer Franz
arbeitete weiter auf dem Streichenhof, heiratete dann eine Anna, und
irgendwann bekam er von dem alten Dominicus den Hof quasi aus
Gewohnheit übertragen, mit der Auflage, dass das Dechei wohnen
bleibe und bis zum Tod gepflegt werde. Der hat dann aus dem Bauernhof
ein Gasthaus gemacht.
* * * * *
Eine altbäuerliche,
gepflegte Gaststube des Streichengasthofs. Ich verzehre einen
gutbürgerlichen Schweinebraten und bewundere die Holzbemalung an
der Tür und an der Bohlendecke. Eine ältere Frau im Dirndl bedient
mich. Sie spricht mit wenig bairischem Akzent, was mich zweifeln
lässt, ob sie mir etwas über die Geschichte des Gasthofs und der
Winkelhofens mitzuteilen in der Lage sei. „Können Sie mir sagen“,
fange ich ein Gespräch an, „wo der Baron von Winkelhofen begraben
ist?“ „Ja, das kann ich: Unten in Schleching.“ „Ja,
Dominicus. Aber was ist mit dem Vater Franz, der dies Gut 1883
gekauft hat?“ „Da gab's hier keinen Vater. Die Familie stammt ja
aus Tirol.“
Sie weiß es nicht. Sie
weiß nur, was sie selber erlebt hat, aber das immerhin ist nicht
wenig. Sie ist eine geborene Strohmayer, Schwester des heutigen
Besitzers Franz und Tochter des alten Strohmayer Franz, der
seinerzeit den Hof wie als Geschenk übernommen hat. Sie ist auf dem
Streichen geboren und hat „den alten Baron“ noch erlebt, nämlich
Dominicus. „Da war ich fünf, als der starb. Für mich war er wie
ein Opa.“ Dann ist sie also Jahrgang 1944. „Er hat viel mit Holz
gemacht“, erzählt sie mir, „viel auf Holz gemalt. Hier im Haus
hat er alles bemalt.“ Sie zeigt auf die Tür und zur Decke hoch.
„Das hat alles der Baron gemacht. Er war sehr arm, ist
völlig verarmt gestorben.“ Ich frage sie nach Maria, dem Dechei.
„Haben Sie die auch gekannt?“ „Freilich. Ich habe sie ja
gepflegt. Sie konnte nichts mehr sehen. Die letzten acht Jahre ihres
Lebens war sie blind.“ Und sie erzählt weiter: „Sie hat hart
arbeiten müssen. Sie ist schon sehr ausgenutzt worden am Hof. Sie
hat immer hart arbeiten müssen.“ Später ergänzt Hartmut Rihl:
„Sie ist wie eine Bauernmagd gehalten worden.“ Ganz verstehe ich
das nicht, Rihl kann es auch nicht erklären.
Am Abend erfahre ich von
meinen Pensionswirten, denen ich meine Begegnung im Gasthof Streichen
erzähle, dass ich mit der Annelies gesprochen hätte. Sie sei in
Hamburg verheiratet gewesen – daher also der geringe bairische
Akzent! – ihr Mann sei plötzlich gestorben, sie wohne noch in
Hamburg wegen ihrer Kinder, sei aber oft hier in Schleching und helfe
oben auf dem Streichen aus.
Wo nun Franz von
Winkelhofen, der 1911 gestorben ist, bestattet liegt, habe ich nicht
erfahren. Hartmut Rihl vermutet, dass sein Grab auf dem Schlechinger
Friedhof gewesen sei, es aber irgendwann einmal aus Platzgründen
neuen Gräbern habe weichen müssen.
Freitag,
24. Juli
Schleching
um 1900
Wie
kann man sich das Leben in einem oberbayerischen Ort wie Schleching
um die Jahrhundertwende vorstellen, als mein Opa Michael dort als
Kind lebte?
Keine
feste Straße, geschweige denn eine geteerte Durchgangsstraße wie
heute, sondern Sandwege, öfter ohne Seitenbegrenzung oder Zaun, eher
kleinere und größere Sandplätze an den Gehöften entlang. Auf den
Wegen Menschen zu Fuß, um die Häuser herum Kinder, wie man es heute
in unseren Dörfern nicht mehr sieht. Ochsen- und Pferdekarren waren
unterwegs, viel wurde in der Hand oder sogar noch auf dem Kopf
getragen, wenn zum Beispiel Sennerinnen ihre auf der Alm gestampfe –
oder schon in einer Handkurbel geschleuderte? – Butter („den
Butter“) in „Embern” nach
Hause brachten. Die Gebäude waren nicht immer in bestem
Zustand, meist fehlte das Geld für Schönheitsreparaturen. Blühten
damals schon Blumenkaskaden auf den Balkons? Die Menschen waren
verglichen mit heute arm, aber man litt keinen Hunger. Wenig Vieh in
den Höfen – die ärmsten Bauern, Gütler und Kleingütler,
besaßen nur eine Kuh oder sogar nur ein Schwein –, Hühner
scharrten überall im Sand, Enten hockten im Gras, vereinzelt auch
Gänse – im Frühjahr das Federvieh mit seinen Küken. Manchmal ein
Hund an der Kette, eine Katze faul in der Sonne, „Geißen“
meckerten in Verschlägen. Gab es Esel? Heute sehe ich zwei Esel auf
einer Weide. Alles zum Essen wurde selber hergestellt; Geschäfte?
Wozu? Es gab aber eine Post (der Niederhauserbauer hatte im
Vorderteil seines Hauses zunächst, 1894, die „Postablage“
eingerichtet, dann 1898 die „Postagentur Schleching“, die heutige
Pension „Alte Post“), es gab einen Schulraum im Mesnerhaus, in
dem auch der Lehrer wohnte, der gleichzeitig die Orgel in der Kirche
spielte – wie Lehrer Lämpel.
Die
Messe war jeden Sonntag vormittags wie nachmittags (zum „Segen“)
gut besucht, man ging selbstverständlich zur Beichte, die Menschen
waren hier noch sehr religiös. Sie waren bodenständig, gut
bayerisch, weniger kaiser- als vielmehr königstreu. Und sie waren
konservativ: „Alles, was in seinem (des Bauern) Kreise dem
Hergebrachten zuwiderläuft“, schrieb Ludwig Anzengruber 1885,
„macht ihn verlegen und misstrauisch, 's mag ja von Gott gegeben
sein, 's könnt's aber auch der Teufel geschenkt haben, wer weiß
sich da schnell aus?“
Viele
alte Männer hatten Vollbärte, einige junge Burschen schneidige
Schnurrbärte, die Bäuerinnen trugen sonntags Trachten – die
Mägde durften das nicht, konnten es sich ohnehin nicht leisten –,
die Bauern Jankerln. Die Alten waren „zahnlucket“, hatten Lücken
in ihren Zahnreihen, ein damals auf dem Land völlig gewöhnlicher
Anblick. Die jungen Männer mussten „zur Militari auf Münka
hinteri“ fahren (nach München), von drei Jahren Militärzeit lese
ich (so viel?), einmal sogar sieben Jahre! Wenn sie vom Manöver
heimkamen, fielen sie ins Wirtshaus ein, tranken, tanzten und sangen:
„Da
drob'n auf da Höh'
Schteht
die bayrisch' Armee.
Soldaten
sollen leben!
Schöne
Mädigen daneben!
Tapf're
Bayern sein's mir,
Tapf're
Bayern sein's mir!
Wir
Bayern hamm Muat,
Wir
fürchten's kein Bluat,
Wir
haben's Kuraschi,
Wenn
das Blut fließt auf der Straße,
Tapf're
Bayern sein's mir,
Tapf're
Bayern sein's mir!“
Waren
die Menschen abergläubisch? Bei Ludwig Thoma (1911) lese ich von der
Heilung eines Pferdes: Eine alte Frau wird in den Stall geholt und
spricht dreimal diesen Beschwörungsvers:
„Jerusalem
ist eine schöne Stadt,
Darinnen
Jesus Christus gekreuzigt ward.
Er
ward gekreuzigt mit Wasser und Blut,
Das
ist für Würmbeißen und Darmgicht gut.“
Sie
streicht dabei jedesmal mit der Hand über den Rücken des kranken
Tieres, und die anwesenden Bauern nehmen ihre Hüte ab, sehen voll
Scheu zu und machen auf Stirn, Mund und Brust das Zeichen des
Kreuzes. Vorher hat es allerdings seriösere, medizinische Maßnahmen
unter Anleitung eines Tierarztes gegeben.
Offenbar
weniger geglaubt, zumindest von den jüngeren Frauen, wurde dieser
Zauber: Wenn sich ein Mädchen in der Thomasnacht, das ist die Nacht
zum 21. Dezember, „ganz nackert“ auf den Schemel vor ihr Bett
stellt und aufsagt:
„Bettscheml,
i tritt di,
Heiliger
Thomas, i bitt di,
Lass
mich sehgen den Herzallerliebsten meinigen
Diese
heitige Nacht!“
dann
wird es im Traum den „Burschen“ sehen, der es einmal heiratet.
(Welche Reime! Welche Rhythmen! Welche Sprache! Herrlich! Gehörte
in „Des Knaben Wunderhorn“.)
Glaubten
die Leute in den Dörfern – anders als in den Städten, wie ich
lese – um diese Zeit wirklich noch an den „Bilmesschneider“,
den Gehilfen des leibhaftigen Satan, der nachts auf einem schwarzen
Bock über die Felder reitet, Ähren abschneidet und so die Ernte
verdirbt? Es soll noch Bauern gegeben haben, die ihre Felder davor
geschützt haben durch allerlei Maßnahmen von Besprühen der Saat im
Frühjahr mit geweihtem Wasser bis hin zu geradezu naiven Zaubereien
wie bei Huckleberry Finn: Der Bauer musste am Pfingstsonntag noch im
Dunkeln aufstehen, ohne von jemandem geweckt worden zu sein, und ohne
ein Wort zu reden ging er mit einem Gewehr zu seinem Feld und schoss
mit Weihwasser gesegnete Kugeln von jeder Ecke einmal über das
Feld: So weit, wie der Schuss zu hören war, hatte der
„Bilmesschneider“ keine Macht. Das soll es um die
Jahrhundertwende noch gegeben haben? Ich kann es kaum glauben.
Immerhin wurde jemand, der einen Mann öffentlich beschuldigte ein
„Truderer“ (Hexenmeister) zu sein, wegen Verleumdung oder
Beleidigung zu fünfzig Mark Strafe verurteilt und musste die
Verfahrenskosten tragen.
Hat
der „Chirurgus“ im Dorf noch nach den „Principia Medicinae“
des schottischen Arztes Francis Home von 1770 geheilt? Darin heißt
es in einer deutschen Übersetzung zum Beispiel: „Das Geblüt der
jungen Weibsen, wenn sie vor der Zeit reif geworden sind, gleicht dem
gärenden Wein in der Flasche, dessen Dünste zu Kopf steigen und die
Sinne benebeln. Ein ordentlicher Chirurgus belässt es bei einem,
höchstens zwei Aderlässen. Man bereite aus den Blättern des
Stechapfels einen leichten Trunk und verabreiche hiervon täglich ein
Quartel. So bewirkt er im Geblüt einen sanften Gang. Da die Blätter
des Stechapfels ein helles Gift enthalten, beachte man, dass der
Trunk auch wirklich leicht sei. Im übrigen aber wäre solch einer
jungen Weibsen als bestes Medikament ein Mann anzuraten, was sich
aufgrund religiöser Gründe nicht immer durchführen lässt.“ Das
habe ich aus Renners „Müllner-Peter“.
Wovor
hatten die Menschen in Schleching Angst? Vor Krankheit? Vor
Missernten? Vor Erkrankung des Viehs? Worüber freuten sie sich? Sie
feierten ihre Feste, das Aufstellen, Stehlen und Auslösen des
Maibaums, Fasching, die vielen katholischen Kirchenfeste, Nikolaus
mit dem Krampus für die Kinder, natürlich Geburten, Hochzeiten,
Beerdigungen, die Unverheirateten gingen auf den Tanzboden zur
Kirchweih des Heiligen Remigius im Oktober, und die jungen Burschen
tanzten Schuhplattler: Die Schlechinger Schuhplattler waren berühmt
im ganzen Chiemgau. Man sprach über die neuen Automobile, die man in
München manchmal konnte herumfahren sehen, wie es hieß. Man war
gut Nachbar und streitbarer Nachbar. Überhaupt hatte man das Herz
auf der Zunge, Wut musste raus: „Du Herrgottsaggerament! 's Mäu
halt, du Saufratz, du nixiga! Du Kramp'n, du mistiga!“ (Eines
Vaters Flucharie gegen seine erwachsene Tochter)
Und
dann das Wirtshaus! Es muss viel Bier getrunken worden sein, „a
kloans Schöpperl“, in Wirklichkeit immer viele Maß, zur Freude
des Schankwirts: „Die b'suffnen Leutl sind dem Wirt sein Beutl.“
Entsprechend wütend konnte über den Wirt auch hergezogen werden,
wenn er „vergisst, dieser Haderlump, dieser miserablige, dass er
das obere Quartl auch hineintun muss in den Krug, der z'sammzupfte
Banznhäuptling, der damische!“ (Banzen ist das Bierfass.) Im
Wirtshaus wurde gekegelt, Haferltarock gespielt („Herz, Grasen,
Schell, Eichel“), die Probleme des Alltags „dischkeriert“,
gelegentlich durchaus auch gerauft („g'rafft“). „Als
Wurfgeschoss“, schrieb Ludwig Thoma 1897 in seiner humoristischen
Abhandlung „Agricola – frei nach Tacitus' Germania“ im
Abschnitt „Waffen, Kriegswesen“, „als Wurfgeschoss dient ein
irdener Krug mit Henkel, der ihn auch zum Hiebe tauglich erscheinen
lässt. An ihren Zusammenkunftsorten sucht bei ausbrechendem Kampfe
jeder möglichst viele dieser Gefäße zu ergreifen und schleudert
sie dann ungemein weit.“ Und es gab eine Sitzordnung: Die Bauern
hatten ihren Tisch, die Stallburschen und Holzknechte einen anderen,
im „Herrgottswinkel“ hinten in der Ecke des Raums unter dem Gekreuzigten. Frauen und Mädchen gingen nur an
Festtagen mit ins Wirtshaus.
Überhaupt
gab es eine gewisse Hierarchie: Die Hofbauern waren höher angesehen
als die kleinen „Gütler“, die wiederum höher als die „Häusler“
und erst recht als die „Zuhäusler“, die in einem „Zuhäusl“,
einem Nebenhaus, zur Miete wohnten. Über den Hofbauern in der
gesellschaftlichen Ordnung des Dorfes standen – mit ihrem eigenen
Tisch im Wirtshaus – selbstverständlich der Pfarrer
(„Hochwürden“), ebenso der Lehrer, wenn er auch nicht unbedingt
immer hohe Anerkennung genoss – darin von heutigen Lehrern nicht
sehr unterschieden –, weiterhin der Advokat, wenn es einen gab,
auch der „Kommandant“ der Gendarmerie sowie der Förster, für
den die Holzknechte arbeiteten: „Watscheder, tu' aufklaftern“,
lasse ich, in Abwandlung einer Textstelle von Georg Queri, den
Förster zu meinem Uropa Michael sagen, „Watscheder, nimm den
Schlag auf der Leiten, Watscheder, hilf beim Bäumaufladen.“
Schließlich war da noch der „Chirurgus“ oder Bader, der alle
möglichen Wundoperationen durchführte, rasierte, Zähne zog –
natürlich ohne Narkose, woher sollte er die auch haben? Auch der war
nicht immer sehr angesehen, weil man wusste, dass es in den Städten
die studierten – aber leider sehr teuren – Amts- und
Bezirksärzte gab. „Baderwaschl“ wurde ihm manchmal spöttisch
hinterhergerufen, was sich reimte auf „Host koan Kreizer Geld im
Taschl.“ Die „Ehehalten“ (Dienstboten wie Knechte,
„Stalldirnen“ und Tagelöhner) waren wie die Gütler und Häusler
am unteren Ende der sozialen Leiter, sie durften sich keineswegs
überall im Haus des Bauern frei bewegen und waren den bäuerlichen
Herrschaften absolut untertan. Und wenn sich ein Knecht zu ausgiebig
seiner Pfeife widmete, dann konnte ein Bauer schon aus der Haut
fahren: „Den sein Pfeiferl stiehlt mir mei Zeit und mei Geld. So
langsam arbeit' ja koa Maurer net als wia der. Dö
Himmiherrgottspfeif', dö malafizische!“ Auch das finde ich bei
Georg Queri (1917), bei uns so gut wie unbekannt, dabei ist einiges
sehr amüsant zu lesen.
Es
wurde viel Zigarre oder Pfeife geraucht (Wassersack, Beißer,
Weichselrohr mit einer langen Hühnerfeder gereinigt und dann mit
Stein und Zunder der Schwamm zum Glühen gebracht), aber auch
Schmalzler geschnupft. Man aß selbstgebackenes Brot und Suppe,
manchmal „Laugenbretzn“, „Radi“, gern Leberkäs' mit Knödeln,
eher sonntags gab es „Schwoanshox'n“ oder „G'selchtes“ und
anderes „Schweinernes“, Rindsbraten und „Kälbernes“ nur zu
besonderen Anlässen, zum Nachtisch Schmalznudeln mit Sauerkraut,
lese ich. Und sie hießen Jaggl, Hiasl, Gori, (Jakob, Matthias,
Gregor) und Resl, Marei, Zenzi (Theresia, Maria,
Crescentia/Kreszenz). Vereine: Auch in Bayern liebte man immer schon
Vereine und Verbände: den Gesellenverein, die Zimmerstutzenschützen
und andere Schützenvereine, die Feuerwehr, eine Musikkapelle, einen
Männerchor, den Veteranenverband (des Krieges 1870/71), einen
Kegelverein, einen Rauchklub (natürlich mit Fahne), einen Kartell-
oder Bruderverein, einen Aloisiusverein – keine Ahnung, was die
machten.
Wer
war angesehen? Der Bauer, der seinen Hof beisammenhielt natürlich,
die Bäuerin, die gut „hauste“, der Stallbursche, der nicht viel
fragte, kräftig anpackte und nicht „hoamgart'n“ tat,
herumhängen, die Magd, die „a guate Melcherin“ war. („Vo drei
Strich hat sie so viel Milli ausg'molka, wia'r an anderene aus
vieri.“) Und die jungen Mädchen mussten drall sein, um bei den
jungen Burschen Erfolg zu haben. Eine in unseren Augen Schlanke wäre
damals ein Hungerhaken gewesen, sie musste „nudelsauber“ sein,
ein „wantsches Madl“.
Gab
es Einbrüche? Immerhin wurden die Hoftüren verschlossen, wenn man
fortging. Es wurde geschmuggelt, es wurde gewildert, man fluchte mit
„valuadat'n Ausdruck“, Frauen klatschten, Männer rissen vulgäre
Zoten und sangen „Schnadahupfln“:
„Koa
Kotz', wos net maust,
Koa
Spotz, wos net fliagt,
Koa
Bäurin, wos haust
Und'n
Mo net betriagt.“
Auf
jedem Hof lebten ein, zwei Knechte und Mägde und vor allem Kinder,
die schon früh mit anpacken mussten – viele unehelich. Das Wort
„Bankert“ kommt von der Schlafbank der Magd, auf der diese und
der Knecht oder der Bauer ihr „ledigs Z'samm- und
Auseinanderlaufen“ haben, wie der Pfarrer resigniert seufzte.
Einen Nachteil scheinen diese „ex soluto“ Gezeugten nicht davon
gehabt zu haben.
So
wird mir das Leben vor hundert Jahren geschildert, so lese ich es, so
stelle ich es mir vor.
*
* * * *
Als
mein Opa Michael in die Schule kam (1901? 1902?), hat er vermutlich
noch das alte Schulgebäude betreten, das ehemalige Mesnerhaus, heute
Rathaus. 1903 wurde etwa hundert Meter weiter ein neues
Schulgebäude fertiggestellt, in dem der kleine Michael auch noch als
Schüler gesessen haben dürfte. Wo genau er gewohnt hat,
ist nur teilweise bekannt: Sein Vater, der auf Halbwart geborene
„Nachzügler”
Michael, als jüngster Watscheder auf dem Buchberg nicht
erbberechtigt, zeigt in den Schlechinger Akten eine „auffällige
Unstetigkeit”, wie der Heimatpfleger Hartmut Rihl schreibt: Er hat
allein zwischen 1894 und 1898 viermal die Wohnung gewechselt. Mal
Holzknecht („Watscheder,
tu' aufklaftern, nimm den Schlag auf der Leiten ...”), mal
Briefträger (die Briefladungen nahm er in der Schlechinger
„Postablage”,
später „Postagentur”
hinter der Kirche in Empfang), scheint er nicht so recht Boden unter
die Füße bekommen zu haben. Einmal, 1897, hat er ein kleines Haus
gekauft, beim heutigen Oppacher in Ettenhausen, jedoch zwei Jahre
später wieder verkauft.
Das alles erfahre ich von
Hartmut Rihl, dem amtlich bestellten Schlechinger „Heimatpfleger”.
Er ist mir immer wieder
als der Experte der Schlechinger Geschichte genannt worden, ein Glücksfall. Er hat unter anderem ein Buch
herausgegeben, einen Fotoband zur Geschichte Schlechings, in dem man
einiges über das Leben hier vor hundert Jahren sehen und in den
detaillierten Bildtexten lesen kann. Alle historischen Hinweistafeln
auf den Häusern im ganzen Ort sind von ihm verfasst. Für all diese
und weitere Verdienste ist er letztes Jahr zum Ehrenbürger
Schlechings ernannt worden.
Heute sitze ich mit
Hartmut Rihl auf der Terrasse seines Hauses in der Geigelsteinstraße
in Ettenhausen. Er ist pensionierter Gymnasiallehrer für Biologie,
Chemie und Geographie. Mit lauter Stimme plaudert er ohne Ende,
springt immer wieder auf, um für mich Akten zu kopieren. Für
meinen Besuch hat er extra seine Watscheder- und
Winkelhofen-Aufzeichnungen aus dem Keller geholt. Fast enttäuscht,
dass ich den Buchberg und den Streichen schon kenne – er wäre
sonst mit mir dort hingefahren – bietet er an, mir wenigstens das
Oppacher Haus zu zeigen, das mein Uropa, der „unstete”
Michael, 1897 gekauft und 1899 wieder abgestoßen hat. Außerdem
fährt er mit mir nach Wagrain, gleich hinter der Achenbrücke links,
kurz vor dem Weg hinauf zum Streichen. Warum nach Wagrain?
Nach den Unterlagen hat
mein Uropa Ende 1895 mit seiner Familie in Wagrain gewohnt
(Bestätigung im „Ahnenpass“), in einem „Zuhäusl”, einem
kleinen Nebengebäude des Hofes Wagrain 4. Adresse des
„Zuhäusls”: Wagrain 4 ½. Dort ist sein Sohn Michael geboren
worden, mein Opa, am 22. November, als Sohn eines „Zuhäuslers“
und einer Dienstmagd, wie es in der Heiratsurkunde heißt, also auf
der untersten Sprosse der Schlechinger Gesellschaftsleiter. (Das
„Zuhäusl” steht heute nicht mehr, es ist irgendwann abgerissen
oder vollkommen umgebaut worden. Es ist eines der kleinen Häuschen
auf dem stattlichen Hof Wagrain 4, den es noch gibt.)
So wuchs mein Opa mit
seinen Geschwistern bei seinem „unsteten” Vater auf. Vermutlich
lebte die Familie in bitterer Armut, mehr noch als die anderen
Familien des Dorfes. Was war das für ein Mann, dieser Holzknecht und
Briefträger Watscheder Michael, Buchbergersohn? Trank er? Verbrachte
er die Abende im Wirtshaus und verjubelte das wenige Geld, das er
verdiente, beim Kegeln, beim Tarock? Oder war er einfach nur ein
armes, unfähiges Hascherle? Das Bild, das wir in der Familie von ihm haben, ist
wenig wohlwollend, eben wegen dieser „Unstetigkeit“, vor allem
aber wegen der Katastrophe, die er über seine Familie kommen ließ.
Eines Tages, am 6. Januar 1906, verschwand er und ist nie wieder
aufgetaucht (Archiveintrag: „abgängig seit 6.1.1906“). Bis
heute wissen wir nicht, was aus ihm geworden ist. Mein Opa Michael
war damals zehn; dessen Großmutter Rosina hat dieses Weglaufen ihres
Sohnes nicht mehr erleben müssen, sie war seit vier Jahren tot.
In meiner Familie
kursierten die wildesten Gerüchte, Räuberpistolen, in denen große
Geldschätze gestohlen und Morde begangen werden. Ich glaube, wir
können getrost davon ausgehen, dass das zwar spannende und lustige
Geschichten sind, mehr aber nicht. Ich stelle mir etwas anderes vor:
Der Mann ließ seine Familie im Stich, stromerte durch den Chiemgau,
versuchte sich als Tagelöhner und Knecht über Wasser zu halten,
landete irgendwann in der Großstadt München, kam auch mit dem
Stadtleben nicht klar, trank, vielleicht geriet er sogar mit dem
Gesetz in Konflikt, etwa wegen Mundraub, von irgendwas musste er ja
leben, dann kam seine Erlösung, der Weltkrieg, er wurde eingezogen
und fiel. Das konnte in etwa der Lebensweg eines Mannes, der mit
nichts zurecht kam, am Anfang des Jahrhunderts in Oberbayern gewesen
sein.
Ein Jahr nach dem
Verschwinden des Vaters starb die Mutter meines Opas, Maria,
geborene Wurnig, aus Kössen, gut vorstellbar, dass sie ihrem Gram
und ihrer Verzweiflung erlag. In den Akten findet man, dass sie in
einem Kufsteiner Krankenhaus an Miliartuberkulose gestorben ist. Die
Kinder wurden dadurch zu Vollwaisen. Man verteilte sie auf
verschiedene Höfe im ganzen Land. Wer das gemacht hat, das ist mir
nicht klar: Die Watschedersche Familie? Die Wurnigsche Familie?
Amtliche Fürsorger? Michael jedenfalls, mein Opa, kam mit elf
Jahren nach Maistall bei Kufstein zur Familie Mathias und Kreszenz
Brandstätter. Und so wurde er, gebürtiger Bayer, aus einer bayrischen Familie stammend, Tiroler.
Sonnabend,
25. Juli
Karin
Raab – Buchberg (2) – ein Dachlaubenpfosten
Auf
dem Tisch vor dem Haus meiner Pension steht von den Daxers
selbstgemachter Johannisbeersaft, Wespen krabbeln auf den
Glasrändern herum, und ich unterhalte mich mit meiner neu entdeckten
Watschederschen Kusine Karin Raab, die mit dem Auto aus Unterwössen
hergefahren ist. Unser gemeinsamer Vorfahr ist unser Ururgroßvater
Michael Watscheder, der 1876 vom Halbwart zum Buchberg gekommen ist.
Dessen Söhne Johann (geb. 1860 in Oberaudorf, der Buchbergerbe, das
„Buachei“) und mein Uropa, der „unstete” Michael (geb. 1868
auf dem Halbwart) waren Brüder. Johanns Tochter Agnes und mein Opa
waren demnach Vetter und Kusine ersten Grades, wir sind also Vetter
und Kusine dritten Grades.
Von Hartmut Rihl kam der Hinweis auf sie. Sie ist
nämlich nicht einfach nur eine Watschedersche Verwandte, sie
betreibt auch mit großem Interesse Ahnenforschung. Ihre Ordner
quellen förmlich über von Aktenvermerken, Kopien, Aufzeichnungen,
Fotos. Als sie die Halbwart-Geschichte erfuhr, von der
sie nichts gewusst hatte, ist sie gleich mit dem Auto hingefahren, um
sich den Hof anzusehen und mit den Besitzern zu sprechen, und um sich
im Amt und in der Pfarrei von Schwaigs alle Urkunden, Kaufverträge
usw. zeigen zu lassen, derer sie nur habhaft werden konnte.
Fast schon selbstverständlich –
wir sind auf dem Land – stellt sich ganz schnell heraus, dass sie
auch mit den Daxers irgendwelche gemeinsamen Bekanntschaften hat. Von
ihr bekomme ich noch manches Detail und einige Korrekturen, vor allem
zum Buchberghof: Der ist nach ihren Unterlagen nicht erst 1917
verkauft worden, wie ich von Rihl vermittelt bekommen habe, sondern
schon 1911, und zwar von Johanns Frau Theresia. Deren Tod 1917 ist
vermerkt unter „ehemalige(!) Buchbergerin“. Warum sie und nicht
ihr Mann Johann, das „Buachei“, den Vertrag unterschrieben hat,
verstehen wir nicht. Er hat noch bis 1934 gelebt – auch das erfahre
ich neu von ihr, bisher haben wir gedacht, er sei 1914 gestorben.
Ich
erfahre aber noch etwas anderes von ihr: Das Buchberger Haus sei
nicht abgerissen worden, wie ich geglaubt habe, sondern erhalten, nur
umgebaut. Die Hausfront, wie sie auf dem Foto zu sehen sei, existiere
noch, sei sogar gut erhalten. Sie zeige hangabwärts, deshalb hätte
ich sie bei meinem Besuch von oben nicht sehen können. Als wir
darüber reden, fällt mir ein, dass sowohl die Frau Aigner, deren
früheres Sägewerk das Haus 1911 gekauft hat, als auch Hartmut Rihl
immer von „Umbau“, nie von „Neubau“ gesprochen haben.
Das
muss ich mir noch einmal ansehen!
Ich
gehe also gleich nach dem Abschied von Karin Raab erneut los zum
Buchberg. „Fam. Harnisch“ steht auf dem Briefkasten unten am Weg.
Ich stiefele wieder den Waldweg hinauf. Wieder die lästigen Bremsen,
eine erwischt mich. Ich schlage sie auf meinem Arm tot, roter
Blutfleck. Immerhin ist es heute nicht mehr so heiß wie all die
vergangenen Tage. Wie ich gehofft habe stehen heute oben mehrere
Autos in und vor dem Carport. Eine ältere Frau jätet vor dem Haus
Unkraut. Ich spreche sie an und frage, ob sie hier wohne. „Ja“,
sagt sie freundlich lächelnd. „Dies war doch einmal ein
Bauernhaus?“ „Es war eine Sennerhütte des Sägewerks Aigner“,
korrigiert sie mich. „Aber davor doch ein Bauernhaus?“ „Das
weiß ich nicht.“ Ihr Akzent klingt wenig bairisch. „Kommen Sie
von hier?“, frage ich. „Nee, aber ick wohne hier. Ick habe das
Haus vor fünfzehn Jahren jekauft.“ Hätte noch gefehlt, dass sie
gesagt hätte: „ha' ick jekooft“ . Eine Berlinerin.
Sie
führt mich die Stufen hinunter hinter das Haus, besser gesagt vor
das Haus, zur Terrasse, die sich unterhalb vor der alten Front
befindet. Jetzt sehe ich die alte Vorderseite: Tatsächlich, so
sieht ein altes Bauernhaus aus, hervorragend renoviert, im Bestand
gut erhalten. Ich kann diese Frontseite leider nicht fotografieren,
zu schmal ist die Terrasse, ich stehe zu dicht am Haus.
Die
Frau lebt hier mit Tochter und Schwiegersohn, beide Lehrer, und deren
Kindern. Ich unterhalte mich ein wenig mit der Tochter, die jedoch,
wie erwartet, nichts über die Vergangenheit des Hauses weiß. Sie
nennt mir aber einen Vinzenz Bachmann, Zimmerer unten in Mettenham,
der ein Buch habe über die hiesige Architektur „oder sowas“,
darin sei das Haus erwähnt, sogar ein Bild auf dem Einband, das
Buch könne man kaufen.
Sofort
mache ich mich auf den Weg nach Mettenham am Fuße des Buchbergs. Ein
letztes Mal muss ich durch den Pferdebremsenwald, trete unten auf die
Straße und gehe etwa einen Kilometer nach Norden. In Mettenham suche
ich das Haus des Bauzimmerers Vinzenz Bachmann auf, Raitener Straße
17, ein sehr großes, schmuckes Bauernhaus. Die Tür steht offen. Ich
klingele – immerhin gibt es hier eine Klingel, sonst muss man immer
klopfen und rufen oder einfach reingehen, was ich als Städter nie
mache. Ein etwas gedrungener, stämmiger Mann kommt kauend an die
Tür. Ich muss ihn beim Mittagessen gestört haben. Er hat etwas, ich
will nicht sagen Unwirsches an sich, aber etwas Kurz-Angebundenes.
Ich fürchte abgewiesen zu werden, wie ich das manchmal erlebe.
„Buch?“, sagt er. „Kommen Sie rein.“
Erfreut folge ich ihm ins Haus. Er führt mich in ein großes Büro und hat das Buch augenblicklich in der Hand. „Hermann Phleps: Holzbaukunst – Der Blockbau, Bruderverlag Karlsruhe“, lese ich, und er zeigt mir die Zeichnung von einer hölzernen Dachstuhlkonstruktion auf dem Buchdeckel. „Das ist Buchberg“, sagt er kurz. Ich frage, ob ich das Buch kaufen könne, ohne zu wissen, was genau darin steht. Nein, könne ich nicht, er habe nur dieses eine Exemplar. Er geht an seinen Computer, sucht im Internet und findet es antiquarisch für 250 €. Das ist mir zu teuer. Er bietet mir an, das Titelblatt zu fotokopieren. Gern nehme ich das Angebot an. „Worum geht es denn genau in dem Buch?“, möchte ich wissen. „Holzbaukunst in Europa. Das hat in den 30erjahren ein Architekturprofessor aus Karlsruhe geschrieben.“ Er blättert in dem Buch, sucht etwas, blättert lange, und findet dann die entsprechende Stelle mit der Skizze von der Buchbergkonstruktion. „Hier ist das Bild nochmal“, sagt er und zeigt mir die Zeichnung genau, einen Stützpfosten mit gedrechselten Rundungen. „Das ist eine Besonderheit, die es nur im Buchberghaus gibt.“ Und ich lese, dass es kennzeichnend für diese „Laube aus dem Chiemgau“ sei, wie „die Säule aus dem Vollen heraus gestaltet“ worden sei und wie zugleich „in der Höhe des Brustriegels … konsolartige Vorsprünge ausgespart worden sind“, usw. Ich verstehe nichts. Ob die Watscheders vor hundertfünfzig Jahren davon gewusst haben?
„Und“, fügt Vinzenz Bachmann hinzu, „hier steht, wann das Haus gebaut wurde.“ Ich fahre auf. Wann das Haus gebaut wurde? Das interessiert mich allerdings, und zwar sehr. „1698.“
Erfreut folge ich ihm ins Haus. Er führt mich in ein großes Büro und hat das Buch augenblicklich in der Hand. „Hermann Phleps: Holzbaukunst – Der Blockbau, Bruderverlag Karlsruhe“, lese ich, und er zeigt mir die Zeichnung von einer hölzernen Dachstuhlkonstruktion auf dem Buchdeckel. „Das ist Buchberg“, sagt er kurz. Ich frage, ob ich das Buch kaufen könne, ohne zu wissen, was genau darin steht. Nein, könne ich nicht, er habe nur dieses eine Exemplar. Er geht an seinen Computer, sucht im Internet und findet es antiquarisch für 250 €. Das ist mir zu teuer. Er bietet mir an, das Titelblatt zu fotokopieren. Gern nehme ich das Angebot an. „Worum geht es denn genau in dem Buch?“, möchte ich wissen. „Holzbaukunst in Europa. Das hat in den 30erjahren ein Architekturprofessor aus Karlsruhe geschrieben.“ Er blättert in dem Buch, sucht etwas, blättert lange, und findet dann die entsprechende Stelle mit der Skizze von der Buchbergkonstruktion. „Hier ist das Bild nochmal“, sagt er und zeigt mir die Zeichnung genau, einen Stützpfosten mit gedrechselten Rundungen. „Das ist eine Besonderheit, die es nur im Buchberghaus gibt.“ Und ich lese, dass es kennzeichnend für diese „Laube aus dem Chiemgau“ sei, wie „die Säule aus dem Vollen heraus gestaltet“ worden sei und wie zugleich „in der Höhe des Brustriegels … konsolartige Vorsprünge ausgespart worden sind“, usw. Ich verstehe nichts. Ob die Watscheders vor hundertfünfzig Jahren davon gewusst haben?
„Und“, fügt Vinzenz Bachmann hinzu, „hier steht, wann das Haus gebaut wurde.“ Ich fahre auf. Wann das Haus gebaut wurde? Das interessiert mich allerdings, und zwar sehr. „1698.“
1698!
Das Buchberger Bauernhaus, das Michael Watscheder 1876 gekauft hat,
war also damals schon fast hundertachtzig Jahre alt, heute über dreihundert. Und es
steht noch. Was für schöne Nachrichten! Weitere Teilchen zum Familienpuzzle sind gefunden.
Herr
Bachmann fotokopiert mir die Seite. Dann führt er mich in eine große
Holzlagerhalle. „Hier ist er“, sagt er dann. Oben unter dem
Hallendach, gut geschützt auf einem dicken Querbalken, liegt exakt
dieser besondere Dachstuhl-Lauben-Stützpfosten. „Wir haben ihn
gerettet“, sagt er. „Wir haben die Umbauarbeiten in dem Haus
gemacht. Das Stück wäre verloren gegangen, wenn wir es
dringelassen hätten. Jemand hätte es irgendwann einmal zersägt.“
„Und was geschieht jetzt damit?“ „Den bewahren wir gut auf.“
Für den Bauzimmerer offenbar eine Kostbarkeit. „Aber niemand
weitererzählen!“
So
kurz angebunden, wie der Mann redet, so hilfsbereit ist er in
Wirklichkeit. Und welche Freude an dem Handwerk, welches Interesse
an dem Fach stecken in dem Aufbewahren dieses einmalig gedrechselten
Dachstuhlpfostens!
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Heute ist Dieter Kühn gestorben, wie ich viel später in Hamburg zufällig erfahren werde. Dieter Kühn ist mit seinen beiden Biografien über Oskar von Wolkenstein und Wolfram von Eschenbach eines der sprachlichen Vorbilder dieses Tagebuchs. Ich mochte immer die Verbindung von historischer Sachlichkeit mit dem persönlichen Zugang zu der beschriebenen Vergangenheit: Wie hat er die Fakten herausgefunden? Wie stellt er sich die dargestellte geschichtliche Welt aus heutiger Sicht vor? Szenarien: Wie könnte es gewesen sein?
Heute ist Dieter Kühn gestorben, wie ich viel später in Hamburg zufällig erfahren werde. Dieter Kühn ist mit seinen beiden Biografien über Oskar von Wolkenstein und Wolfram von Eschenbach eines der sprachlichen Vorbilder dieses Tagebuchs. Ich mochte immer die Verbindung von historischer Sachlichkeit mit dem persönlichen Zugang zu der beschriebenen Vergangenheit: Wie hat er die Fakten herausgefunden? Wie stellt er sich die dargestellte geschichtliche Welt aus heutiger Sicht vor? Szenarien: Wie könnte es gewesen sein?
Sonntag, 26. Juli
Zurück nach Kufstein
Wehmütig
schaue ich mich um, als ich mit dem Bus – für 3,10 € bis Kössen
– aus Schleching hinausfahre. Die Hochplatte
mit der Zwillingswand bleibt zurück, die Kampenwand und der
Geigelstein ziehen vorbei, in der Ferne hinter den weiten Wiesen
verschwindet der Buchberg, Abschied vom Streichen links oben, und
schon sind wir in der Achenklamm und am Klobenstein. Die ganze
Busfahrt über, auch auf der weiteren Fahrt von Kössen nach Kufstein (6,30 €) sehe ich meine Wanderwege und -stationen noch einmal, und
es geht so unglaublich schnell. Wofür ich auf dem Hinweg drei
mühsame, intensiv erlebte, schweißnasse Wandertage gebraucht habe,
fahre ich jetzt in einer guten Stunde zurück. Halbwart ist nicht zu
sehen, zu weit unten geht die Straße direkt am Walchsee vorbei,
einem kleinen, dunkelgrünen Badesee, an dem gerade heute, einem
strahlenden Sonntag, viel Betrieb ist. Am Inn grüßt der Brünnstein
und von weitem Watschöd von seiner Lichtung am Hang des
Schildbarren. Dann taucht der Pendling auf, und schon bin ich wieder
in Kufstein. (Diesmal Hotel Goldener Löwe mitten in der Altstadt,
Zimmer 339, zentral, bequem, 45 € Striede-Spezialpreis, weil die
Pension Striede jetzt kein Zimmer für mich frei hat.)
Wenn
man im fernen Norddeutschland am Schreibtisch sitzt und die
Wanderroute plant: Kufstein, Inntal, Bayern, wieder Tirol, wieder
Bayern, diesmal Chiemgau, dann denkt man an länderübergreifende
Weiten. Und das Gefühl hat man ja auch beim Durchwandern
dieser Gebiete. Wenn man aber auf der Straße alles abfährt, merkt
man, auf einem wie kleinen Raum sich die ganze Watschedersche
Vergangenheit abgespielt hat, in einem Gebietskreis mit einem
Durchmesser von gerade mal zwanzig Kilometern.
Aus diesem kleinen Kreis also stammt das Watschedersche Bauernblut, das durch meinen Körper fließt, gut vermischt mit dem Winkelhofschen Zustrom aus Südtirol. Von diesem Kreis kommt das Watschedersche Bäuerische in mir - das ich spüre trotz aller norddeutschen, evanglischen, bildungsbürgerlichen Sozialisation. Ich habe die Landschaft gesehen. Sie ist mir ganz vertraut geworden. Und ich habe sie lieb gewonnen.
Aus diesem kleinen Kreis also stammt das Watschedersche Bauernblut, das durch meinen Körper fließt, gut vermischt mit dem Winkelhofschen Zustrom aus Südtirol. Von diesem Kreis kommt das Watschedersche Bäuerische in mir - das ich spüre trotz aller norddeutschen, evanglischen, bildungsbürgerlichen Sozialisation. Ich habe die Landschaft gesehen. Sie ist mir ganz vertraut geworden. Und ich habe sie lieb gewonnen.
Montag, 27. Juli
Bäckerei Schmidt
Bummel
durch das Städtchen Kufstein, Mitbringsel shoppen, nicht gerade
meine Leidenschaft, aber meinen Lieben möchte ich doch gern mit
einem Schmankerl Freude machen. Außerdem suche ich dabei Bücher
über das alte Kufstein. Und ich finde in einem Band das Foto von
dem Geburtshaus meiner Mutter, das meine Schwester besitzt, eine Ansichtskarte.
Untertitel: „Die Kinkstraße 1937. Im
Gemüsegarten links am Zaun befand sich der Schmiedbäckbrunnen.“
Das Buch ist mir zu teuer, nur dieses einen Fotos wegen
möchte ich es nicht kaufen, zumal ich das Foto habe.
Aber
Schmiedbäckbrunnen? Das klingt ja ganz nach dem Bäcker Schmidt in
der Kinkstraße, an dessen Schaufenster meine Mutter um 1928 als Fünfjährige sich die Nase plattdrückte und sich in die verführerische „gemütliche
Hölle aus Teigfigürchen, Zuckerguss und Watte“ hineinsehnte, wie
mein Bruder es so schön beschrieben hat. Wo war diese Bäckerei Schmidt?
Oder Schmied? Es ist fast hundert Jahre her, wer soll das hier noch
wissen? Ich frage eine junge Buchverkäuferin. Natürlich weiß sie
es nicht. Sie fragt einen Kollegen. Auch der muss passen. „Der
Schmiedbäckbrunnen“, versucht er im Wunsch mir zu helfen, „das
muss der Brunnen auf dem Platz vor der „Volksschule“ und dem
„Goldenen Löwen“ sein.“ Dann wird die Annie geholt, die
älteste Verkäuferin im Laden. „Ach Gott“, stößt sie aus, „so
alt bin ich nun auch wieder nicht!“ Nichts. Sie empfiehlt mir den
„Bürgerservice“ im Rathaus. Dort gebe es seit drei Wochen einen
neuen Chronisten, aber ob der das wisse, das wage sie zu bezweifeln.
Und genau so ist es: Auch dort weiß keiner, wo die Bäckerei Schmidt
in den 20erjahren war.
Enttäuscht
gehe ich zum schmiedeeisernen Brunnen vor der „Volksschule“, die
eine Realschule war und in die Hanna nicht gegangen ist, und
fotografiere ihn, ob es nun der „Schmiedbäckbrunnen“ ist oder
nicht.
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Nachtrag
vom 24. August:
Heute
erhalte ich von einem Hermann Horvath eine E-Mail mit diesem Inhalt:
„Sehr
geehrter Herr Grimm,
endlich
ist es mir gelungen, Ihnen die versprochenen Photos von der
Kinkstraße in Kufstein zu schicken. Ich hoffe, Sie können damit
was anfangen und verbleibe
mit
freundlichen Grüßen aus Kufstein
Hermann Horvath“
Hermann Horvath“
Und
ob ich damit etwas anfangen kann! Hermann Horvath hat das Buch mit
den historischen Fotos von Kufstein herausgegeben, das ich in einem
Buchladen gefunden habe, das Buch mit dem Foto von dem Geburtshaus meiner Mutter. Diesen Herrn Horvath habe ich per E-Mail über den
Verlag gefragt, ob er wisse, wo sich die Bäckerei Schmidt befunden
habe. Seine Antwort per Fotos lautet: Sein eigener Großvater,
Stephan Horváth, aus Ungarn eingewanderter Konditor, hat im Haus
Kinkstraße 20 ein Café mit Konditorei eingerichtet. Das hat meine Mutter wohl weniger interessiert. Aber gleich links nebenan, im Haus
Nummer 22, war die Bäckerei Schmidt, also unmittelber neben dem
Hauseingang des kleinen Mädchens. Es muss bei jeder Rückkehr
vom Einkaufsweg an der Hand seiner Mutter, meiner Oma, die Düfte der Semmeln und
Brezeln und „Kiachaln“ eingesogen und gequengelt haben: „Mamaaa?
...“ usw.
Also:
Die Bäckerei Schmidt befand sich unten genau in dem Wohnhaus der
Watscheders. (Heute ist da ein unattraktiver Blumenladen.) Und der
„Schmiedbäckbrunnen“ heißt nach Hermann Horvath
„Schmidtbrunnen“, tatsächlich nach der Bäckerei, der gegenüber,
auf der anderen Straßenseite, er ursprünglich gestanden hat.
Damit wäre das mal geklärt.
Damit wäre das mal geklärt.
Dienstag, 28 Juli
Michael Watscheder
Noch
schneller als mit dem Bus fliegt man mit dem Zug an den inzwischen so
vertrauten Orten vorbei. Gerade noch verabschiede ich mich hinten
vom Pendling, da tauchen vorne schon Brünnstein und Schildbarren
auf, und ganz kurz kann ich durch vorbeihuschende Bäume hindurch
einen Blick auf Watschöd erhaschen: Ruhig liegt der Hof auf seiner
Anhöhe. Das Erler Zollhaus ist verdeckt, nur das Dorf Erl ist zu
sehen mit seinem weißen halbkreisförmigen Passionsspielhaus und
der schwarzen futuristischen Festspielhalle. Dann sind wir aus den
Bergen heraus im flachen Alpenvorland Richtung Rosenheim und München.
Bfüat euch Gott alle miteinand'!
Wandern
auf den Spuren von Vorfahren, das war vor allem ein großer Spaß.
Viel habe ich gesehen, mit vielen habe ich gesprochen, viel habe ich
erfahren, mancherlei Neues, viel Bestätigendes. Etliches ist auch
offen geblieben, unbeantwortet. Aber in dem großen Mosaik sind
schöne Steinchen hinzugekommen. Vor allem jedoch: Ich habe jetzt
eine Vorstellung von der Landschaft, aus der mein Opa stammt. Denn
um die väterlichen Vorfahren dieses Michael Watscheder ging es auf
meinem Weg. Warum nur, habe ich mich unterwegs oft gefragt, warum
nur habe ich mit ihm nie über seine Vergangenheit, seine Kindheit
gesprochen? Was hätte er alles erzählen können! Warum habe ich ihn
mir nicht einmal geschnappt, ihn ins Auto gesetzt und bin mit ihm
nach Kufstein gefahren? Schleching hätte wohl wenig Sinn gehabt:
Dort gab es schon lange keine Watscheders mehr, und einen Hartmut
Rihl gab es noch nicht, der uns das mit Oberaudorf, Watschöd und
Halbwart hätte sagen können. (Oder vielleicht doch Schleching?
Wusste er mehr? Im „Ahnenpass”
meiner Mutter finde ich, sogar in ihrer Handschrift, „Halbwart“
und „Poider“. Sie wusste aber offenbar nicht, dass das keine Höfe
in Schleching sind. Ich finde auch „Oberaudorf“. Wusste meine
Mutter, wusste mein Opa, dass die Watscheders Oberaudorfer waren?)
Aber
wenigstens Kufstein: Er hätte mir etwas zeigen und Geschichten dazu
erzählen können. Wir hätten Verwandte und Freunde treffen können,
von denen damals noch einige lebten. Warum nur habe ich das nicht
gemacht? Es hat mich früher einfach nicht interessiert.
An
meinen Opa musste ich während meiner Wanderung immer wieder denken, auf der
Wanderung durch die Landschaft, die ihn zu dem gemacht hat, der er
war: bedächtig, schwerfällig, fröhlich, bäuerisch - Eigenschaften, die ich in mir selber wiedererkenne.
Zu
seinem Gedächtnis habe ich dies Tagebuch geschrieben.
Die
Bücher, die ich im Zusammenhang mit der Wanderung gelesen habe, in
denen ich viel über das bäuerliche Leben in Oberbayern um die
Jahrhundertwende erfahren habe und aus denen auch die meisten Zitate
stammen, sind folgende:
Ludwig Anzengruber:
„Der Sternsteinhof“ (1885)
Anzengruber war zwar kein
Bayer, sondern Wiener, aber dieser eindrucksvolle Roman ist mit
seiner Darstellung der Häuslerin, die mit Tatkraft und
rücksichtslosem Egoismus zu einer Großbäuerin wird, sicher dicht
an den dörflichen Verhältnissen in Bayern. Den Film von Hans W.
Geißendörfer von 1976 übrigens, der mir die Idee gab, jetzt mal
das Buch zu lesen, habe ich noch in ziemlich guter Erinnerung: Die
mir fremde Welt muss mich damals fasziniert haben, die meisten
Filmhandlungen vergesse ich nämlich sonst immer.
Ludwig Ganghofer: „Der
Unfried – Eine Hochlandsgeschichte“ (1888)
In diesem Roman, das in
einem bayerischen Dorf spielt, wird viel geweint, Brüste heben sich
zu verzweifelten Seufzern, glutschwarze Augen blitzen zornig usw. Der
Spaß dieser Lektüre ist reichlich kitschig, die dramatische
Handlung zufällig und gewollt. Aber spannend ist die Geschichte
allemal.
Carl Oskar Renner:
„Der Müllner-Peter von Sachrang“ (1972)
Ein historischer Roman
vom Anfang des 19. Jahrhunderts aus der Zeit der Napoleonischen
Besetzungen. Handlungsort: das oberbayerisch-tirolerische Grenzgebiet
– Sachrang ist ein Dorf in einem Nachbartal von Schleching. Den
Müllner-Peter hat es wirklich gegeben, was zur Folge hat, dass dem
Autor in seiner Gestaltung Grenzen gesetzt waren. Dementsprechend
hat das Buch öde, langweilige Passagen (seitenlange Studien,
Chorproben, Reisen u.ä.), ist aber stellenweise durchaus auch
lesbar, einiges im Leben des Mülllers war denn doch aufregend genug
für den Roman.
Ludwig Thoma: „Andreas
Vöst“ (1906) und: „Der Wittiber“ (1911)
Die beiden
oberbayerischen „Bauernromane“ sind offenbar realistische, auf
jeden Fall anschauliche, oft drastische Schilderungen der
bäuerlichen Atmosphäre und Lebensverhältnisse am Anfang des 20.
Jahrhunderts: sehr aufschlussreich, fesselnd.
Und nochmal Thoma:
„Agricola – Bauerngeschichten“ (1897)
Es handelt sich um ein
Büchlein mit Erzählungen, die auf Thomas eigenen Erlebnissen als
Rechtsanwalt auf dem Land beruhen, köstliche humorige Beschreibungen
und Charakterisierungen des Bauernschlages: schwerfällig,
ungebildet, schlau, selbstbewusst, stur, usw. Kraglfing heißt hier
das oberbayerische Suleyken. An einigen Stellen musste ich regelrecht
auflachen.
Georg Queri: „Der
bayrische Watschenbaum“ (1917)
Ähnlich wie die
„Agricola“-Geschichten witzige, satirische Erzählungen, zum
Beispiel mit der Beschreibung eines Stammtisches, der gern Hindenburg
als Mitglied aufnehmen möchte, oder mit der Schilderung eines
Holzknechts, der nach getaner Arbeit einfach nicht anders kann als im
Wirtshaus einzukehren, das dummerweise direkt an seinem Heimweg
steht, mit den entsprechenden komischen Folgen. Leider haben die
Geschichten Längen, hören nicht auf, wo sie am besten aufhören
sollten. Sie sind im übrigen geprägt vom Weltkrieg, in dessen Zeit
sie geschrieben wurden.
Nochmal Queri: „Der
Kapuziner – Roman aus dem tiefen Bayern“ (1920)
Dieses posthum erschiene
Buch ist zwar wenig ergiebig, wenn man etwas über das
oberbayerische Dorfleben oder den Dialekt erfahren will – die
Handlung ist zudem im 18. Jahrhundert angesiedelt –, aber es ist
eine herrlich geschriebene antiklerikale Satire, die sich auch über
den geradezu absurden katholischen Volksaberglauben lustig macht,
teilweise sehr krass (etwa Prügelstrafe in der Schule). Und es ist
witzig. Nur ein Beispiel: Der kleine Jesuitenschulbub Pankraz spielt
zu Hause eine antilutherische Predigt nach, die er in der Kirche
gehört hat, so fanatisch, dass selbst seine frommen Zieheltern
erschrecken, während der „Pater Guardian“, geistlicher – und
heimlich biologischer – Vater des Jungen, diesen hocherfreut zum
Zuckerbäcker führt; „der Pater belohnte die schöne Predigt mit
einem zuckernen Martin Luther und hieß den Buben, dem ungläubigen
Manne den Kopf abbeißen. Mit jugendlichem Ingrimm biss Pankraz zu –
ach, süß ist es, gegen die Heiden zu kämpfen.“
Und
die Bücher zu Schleching, Oberaudorf und zur Winkelhofener
„Karlsburg“ in Brixen:
„Schleching am
Geigelstein – Die Dorfgemeinde im Tal der Tiroler Ache;
Fotografische Erinnerungen von gestern und heute“, ein
umfassender und sehr informativer Fotoband herausgegeben von u.a.
Hartmut Rihl, „Ortsheimatpfleger“ (Texte); für 25 € im
Tourismus-büro („Bürgerhaus“) in Schleching zu bekommen. Aus
diesem Buch stammen einige der Fotos in meinem Fotoalbum.
„Unser Audorf –
Chronik 2. Teil“ von Dr. Josef Bernrieder, 1991 herausgegeben von der Gemeinde Oberaudorf, mit den für uns so erlösend informativen Besitzerlisten sämtlicher Bauernhöfe Oberaudorfs im "Anhang: Hofgeschichte der in der heutigen Gemeinde Oberaudorf befindlichen Anwesen" S. 709 - 979.
„Milland - Beiträge zu Natur und Geschichte“, 1993
herausgegeben vom Bildungsausschuss Milland,
darin S. 115 - 148: Erika Kustatscher: "Die Ansitze von
Milland". Erika Kustatscher ist eine Südtiroler Historikerin,
die ihren Aufsatz mit zahlreichen Anmerkungen versehen
hat, die es sicher lohnt, nach der Winkelhofenschen
Geschichte abzusuchen, nur als Beispiel: Ignaz Mader,
Aus der Geschichte derer von Winkehofen, in: Der Schlern
19, 1938, S. 132 - 134.
herausgegeben vom Bildungsausschuss Milland,
darin S. 115 - 148: Erika Kustatscher: "Die Ansitze von
Milland". Erika Kustatscher ist eine Südtiroler Historikerin,
die ihren Aufsatz mit zahlreichen Anmerkungen versehen
hat, die es sicher lohnt, nach der Winkelhofenschen
Geschichte abzusuchen, nur als Beispiel: Ignaz Mader,
Aus der Geschichte derer von Winkehofen, in: Der Schlern
19, 1938, S. 132 - 134.
Der
Pointnerhof
(„Poider
am Kleinen Berg”)
ca.
1650 – 1885 in Watschederschem Besitz
ca.
1650 – ? Hanns Watscheder
schuldet
1652 seinem Sohn Hanns 900 Gulden und 30 Kreuzer
?
– 1709 Hanns Watscheder
1709
– 1762 Simon Watscheder (stirbt 1773)
680
Gulden Schulden auf dem Hof;
heiratet
1721 Anna Rechenauer
1762
– 1798 Bernhard Watscheder (1731-1806)
muss
6 Geschwister auszahlen;
heiratet
1765 Anna Kurz
1798
– 1820 Johann Watscheder
übernimmt
den Hof um 1.100 Gulden. Witwer,
heiratet Maria
Neugschwendtner, Korbmachertochter aus Mühlbach. 1805
Forstrechtsentschädigungsanteile: 12,95 Tagwerk im
Lengauerwald, Almhütte und Almanteil an der Großalm und
Lengaualm.
1815/17:
baut neues Gebäude – Stadl und Backofen abgesondert.
1820
– 1856 Sebastian Watscheder (stirbt vor 1856)
heiratet
Anna Gfäller aus Oberau/Tirol
1856
– 1870 Sebastian Watscheder (1821-1893)
übernimmt
den Hof um 6.000 Gulden (Erbvergleich) von der Mutter;
heiratet
Katharina Hormayer aus Kitzbühel/Tirol
1870
– 1885 Johann Watscheder
heiratet
Anna Bichler aus Vorderwildgrub (Oberaudorf);
verkauft
den Hof 1885
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